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Als die September-Inflationsdaten auf den Tisch kamen, brach der vorher ins Plus gezogene S&P 500-Future haltlos sein. Doch kaum begann der reguläre Handel, stieg der Index höher und höher. Das war nicht normal. Aber es gibt eine Erklärung – die nicht unbedingt bullisch ist.
Die Inflationsdaten können wir schnell abhandeln, denn die waren zwar der Auslöser für den anfänglichen Abverkauf, hatten aber mit der Rallye nichts zu tun. Zwar lag die Gesamtrate zum Vorjahresmonat mit 8,2 Prozent sogar einen Tick unter der Rate vom August. Aber man hatte 8,1 Prozent erwartet. Was aber ohnehin nicht entscheidend war. Entscheidend war, dass die Kernrate der Inflation (ohne Lebensmittel und Energie) mit 6,5 Prozent über den Prognosen lag und ein neues Hoch im Inflationszyklus markierte. Und zum Vormonat waren die Preise mit 0,4 Prozent in der Gesamt- und 0,6 Prozent in der Kernrate stärker gestiegen als gedacht.
Damit war in Kombination mit der unerwartet niedrigen Arbeitslosenrate für September, die vor einer Woche vorgelegt wurde, klar: Die US-Notenbank wird den Leitzins weiter kräftig anheben. Und das ist nun einmal Gift für das Wachstum und damit für den Aktienmarkt.
Dass der S&P 500 über den Future nach diesen Zahlen binnen einer halben Stunde um 3,8 Prozent wegbrach, war also eher logisch, denn er war im Vorfeld von denen nach oben gezogen worden, die hofften, die Zahlen würden gut, eine wichtige Unterstützung dadurch verteidigt und das zusammen die Basis einer Super-Rallye. Die dann auch kam. Aber nur, weil zuvor eben das Gegenteil passierte. Um es weniger kryptisch auszudrücken: Die Rallye war eine Rettungsaktion. Hätte man sie nicht losgetreten, hätte das Risiko eines „Meltdown“ bestanden, eines kapitalen Kurseinbruchs. Nicht wegen der Inflationsdaten an sich, die waren nur der Auslöser. Es ging um die 1.000 Tage-Linie.
Die sehen Sie im Chart auf Tagesbasis in dick violett gehalten. Diese Linie ist langfristig wichtig, viel wichtiger noch als die 200-Tage-Linie. Fällt diese Linie, schalten nicht wenige Handelssysteme auf Alarmstufe Rot. Und das besonders kritische an dieser Situation war:

Beim Dow Jones ebenso wie beim Nasdaq 100 waren diese Linien bereits gefallen. Der S&P 500 war der letzte der großen US-Indizes, bei dem sie noch gehalten hatte. Diese Linie liegt bei 3.566 Punkten. Sie sehen es im Tageschart: Ende September hatte der S&P 500 diese Linie gehalten, knapp darüber zog der Index kräftig an. Das Dumme dabei: Er kam nicht weit. Anfang Oktober kam es zu einem „Island Reversal“ nach unten, das man im ganz kurzfristigen Chart, der den S&P 500 auf 60-Minuten-Basis zeigt, besonders gut sieht. Die Kurse sackten diesmal direkt auf diese Linie … und kamen weder am Dienstag noch am Mittwoch wieder von ihr los.
Expertenmeinung: Logisch, dass die Trader alarmiert waren, vor allem die großen Adressen wie Fonds oder Pensionsfonds, die natürlich alles wollten, nur nicht noch mehr Verluste, die dazu führen, dass ihnen die Kunden davonlaufen.
Weil die Lage so brenzlig war, fiel auch die erste, negative Reaktion auf die Inflationsdaten so heftig aus. Denn die waren zwar schlecht, aber doch keine absolute Überraschung. Und dann passierte, was in solchen Schlüsselmomenten immer passiert. Die großen Akteure hatten zwei Möglichkeiten: Flucht oder Attacke. Sie wählten die Attacke. Und kamen damit durch. Erst einmal zumindest.
Der Vorteil derer, die mit der Brechstange versuchten, diese 1.000-Tage-Linie zurückzuerobern, war der Überraschungseffekt. Dadurch entstand die übliche Kettenreaktion in solchen Fällen: Als man sah, dass gekauft wurde und das mit Wucht, nahmen die Short-Seller, denen durch den vorherigen Selloff unverhofft dicke Gewinne in den Schoß gefallen waren, sofort ihre Gewinne mit. Doch Short-Eindeckungen ziehen die Kurse nun einmal nach oben. Damit intensivierte sich die Rallye.
Und in dem Moment, als die 1.000-Tage-Linie wieder überboten war, was gegen 17 Uhr unserer Zeit gelang, intensivierte sich die Bewegung, weil jetzt auch noch kurzfristige Trader auf den Zug aufsprangen bzw. vorher Short engagierte Trader nicht nur ausstiegen, sondern auf Long wechselten. Damit bekam diese Rallye eine Eigendynamik, die völlig vom Auslöser des vorherigen Abverkaufs losgelöst war. Es war einfach eine Rettungsaktion, bei der man versuchte, noch schlimmere Verluste „wegzukaufen“. Doch das hat einen Haken:
Wer da schnell eindeckte, hat zwar seinen Gewinn mitgenommen, aber deswegen wird man ja nicht gleich bullisch. Die Inflationsdaten wurden damit nicht besser. Und sie waren den Bruch der 1.000-Tage-Linie ja wert. Der Druck der steigenden Zinsen wird bleiben. Und kein erfahrener Trader wird es nur wegen dieser Rettungs-Rallye ignorieren, dass J.P. Morgan-CEO und Börsen-Ikone Jimmy Dimon gestern sagte, dass er nicht an eine sanfte Landung der US-Wirtschaft glaubt und sein Bauchgefühl ihm sagt, dass die US-Leitzinsen höher als 4,0 bis 4,5 Prozent steigen werden.
Die Renditen der US-Anleihen kamen zwar von ihren nach den Inflationsdaten erreichten 14-Jahres-Hochs leicht zurück, aber die Zehn-Jahres-Rendite blieb mit 3,95 Prozent über dem Vortageslevel. Der Ölpreis stieg trotz stark gestiegener US-Lagerbestände. Der US-Dollar blieb super-stark und bremst weiter den US-Export. Kurz: Außer der Rettung der 1.000-Tage-Linie hat sich nichts zum Positiven verändert. Die Bären wissen das. Und sie wissen, dass die Bullen das ebenfalls wissen.
Hinzu kommt, dass der S&P 500 bei 3.723/3.736 Punkten bereits auf erste, markante Charthürden trifft, die dann nach oben hinaus nicht abreißen. Es kann sein, dass dieser Intraday-Turnaround heute trotzdem zu weiteren Käufen führt. Es kann sein, dass die bis zur Abrechnung an der Terminbörse heute in einer Woche weitergehen oder zumindest der höhere Level gehalten wird. Aber auf Dauer gerettet ist diese 1.000-Tage-Linie gerade deswegen nicht, weil sie ohne Rückenwind dieser Rettungskäufe gefallen wäre und das jedem klar ist. Die Bären können somit jederzeit zurückkommen. So eindrucksvoll das gestern auch aussah: Long bleibt hier die eindeutig gefährlichere Richtung!

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