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Einfach mal laufen lassen und individuell entscheiden, ob und wo man aussteigt, so macht es die ganz große Mehrheit der Anleger. Stoppkurse setzen also die wenigsten. Ohne Stopp unterwegs zu sein, das geht bisweilen auch längere Zeit gut. Aber wenn es schiefgeht, kann das absolut fatal enden. Sehen wir uns die Thematik einmal an.
Wer sucht, wird natürlich so einige Fälle finden, bei denen man mit einem Stoppkurs auf die Nase gefallen ist, sei es, weil man ihn falsch platziert hat, sei es, weil einem der Kursverlauf einen Streich gespielt hat. Diese Beispiele verwenden diejenigen, die keine Stoppkurse setzen, als Beleg dafür, dass Stoppkurse mehr Schaden als Nutzen bringen. Also höre ich dann oft: „Ich habe in etwa im Kopf, wo ich aussteigen würde“ oder sogar „das entscheide ich jeweils aus der Situation heraus“. Theoretisch kann man das so machen, nur:
So etwas wird deswegen selten bestraft, weil vor allem der Aktienmarkt ja die meiste Zeit über steigt. Abwärtsphasen sind auf der Zeitachse selten. Doch wenn es mal abwärts geht, dann oft schnell und weit. Und dann landet man mit einem „schauen wir mal“ in Sachen Verkauf ganz schnell in einer selbst gegrabenen Grube. Wem das passiert, muss hoffen und bangen, dass die Kurse dann schnell wieder steigen, wie es z.B. beim Corona-Crash Anfang 2020 der Fall war. Doch wer dann auch noch solche Fälle als Beweis hernimmt, dass die Kurse ja sowieso gleich wieder anziehen und Stoppkurse somit nur dazu führen, dass man am ungünstigsten Punkt verkauft, riskiert sein Erspartes. Und nicht nur einen kleinen Teil davon.
Ohne Stopp geht oft gut … aber wehe, wenn nicht!
Denn eines dürften selbst die “Stopp-Verweigerer“ zugeben: Ob die Kurse im Fall eines Einbruchs umgehend wieder steigen oder immer weiter fallen, kann man nicht vorher wissen. Die Börse bewegt sich immer auf Basis von Tag zu Tag neuen, anderen Einflüssen und Argumenten. Daher: Egal, ob ein Kurseinbruch durch Überhitzung und/oder Überbewertung, überraschend negative Wirtschaftszahlen oder externe Einflüsse wie geopolitische Verwerfungen, Corona, Lieferengpässe etc. ausgelöst wird: Es ist nie absehbar, wie es dann weitergeht. Also ist es sehr wohl ratsam, genau auf die Kurse zu achten und konsequent auszusteigen, wenn der Markt das indiziert.
Ja, es gibt immer wieder Situationen, in denen man ausgestoppt wird und dann teurer wieder einsteigen müsste, weil ein Kurs einen Level unterschreitet, unter dem er eigentlich weiter fallen müsste, knapp darunter aber abrupt dreht und nach oben davonzieht, wir sehen weiter unten ein Beispiel. Aber es gibt eben auch andere Fälle. Und die kleinen Verluste einiger Bärenfallen, in die man über die Jahre hinweg tappt, wiegen nicht auf, was man verliert, wenn es doch keine wurde und man nicht reagiert hat. Denn ein Problem wird gerne ausgeblendet … und zwar das bei einer Fahrt ohne Stoppkurse entscheidende Problem:
Wer nicht reagiert, gerät in die „Ausreden-Falle“
Wer nicht aussteigt, wenn es angebracht ist, holt das sehr, sehr selten kurz darauf nach, denn dann beginnt im Kopf eine fatale Kette an Ausreden, mit denen man seinen Fehler vor sich selbst kaschieren will. Solche Fälle habe ich in den größeren Abwärtsbewegungen der Jahre 2000-2003 und 2008/2009 zu Hauf mitbekommen. Sehen wir uns mal als Beispiel den Chart des DAX ab Sommer 2007 an:
Eine markantere Toppbildung als dieses bis Januar 2008 entstandene multiple Topp aus mehreren Doppeltopps kann es eigentlich gar nicht geben. Als dann noch die im Chart dick rot hervorgehobene 200-Tage-Linie fiel, war der Long-Ausstieg massiv angeraten, spätestens, als die letzte der Nackenlinien des Multi-Topps fiel, erst recht. Und doch weiß ich, dass in meinem persönlichen Umfeld kaum jemand reagierte. Und das löste die fatale Kette der Ausreden aus, warum man denn nicht verkauft hat. In diesem Fall wurde meist so argumentiert:
„Das mit dem US-Immobilienmarkt ist ja nicht unser Problem“ (wer das nötige Börsen-Grundwissen hatte, hätte gewusst: Das wird es aber werden). „Vorher hat der DAX ja auch trotzdem immer wieder nach oben gedreht“ (ja, aber irgendwann halt nicht mehr). Und dann, wenn die Verluste so richtig massiv waren: „Ich will ja auch nicht traden, ich investiere langfristig“ (was die Leute aber auch erst behaupteten, seit ihre Verluste hoch waren).
Der nächste Schritt in der Ausreden-Kette kommt, wenn sich herausstellt, dass das mit dem zügigen Schwenk nach oben irgendwie nichts wird und das Minus immer mehr anschwillt. Dann pflegte man, wie immer in solchen Situationen, freies Geld zusammenzukratzen und zuzukaufen. „Ich verbillige meinen Einstandskurs“, hieß es dann mit gescheiter Miene. Aha. Gut, wenn die Kurse dann umgehend nach oben drehen. Nicht gut, wenn sie weiter fallen, denn dann „verbilligt“ man sich zu Tode.
Wer noch nie in der Falle saß, neigt dazu, die Gefahr auszublenden
Wem das einmal so ergangen ist, hat entweder heute kein Geld mehr, was er/sie anlegen könnte oder macht es besser. Aber seitdem man das letzte Mal richtig heftig büßen musste, wenn man ohne Sicherungsseil unterwegs war, ist eben lange her. Das bedeutet: Viele neue Anleger sind dazugekommen, die diese bösen Erfahrungen noch nicht gemacht haben. Und die „Neuen“ sind mal wieder sicher: Der Aufwand lohnt sich nicht, die Kurse steigen ja sowieso langfristig immer.
Stimmt. Es ist indes die Frage, was Sie, wenn Sie mal in sich gehen, denn unter „langfristig“ verstehen würden, bevor Sie durch den Nicht-Ausstieg in einer größeren Abwärtsbewegung auf diese Idee kommen. Denn der folgende Chart macht deutlich, dass es zwar in den vergangenen 15 Jahren relativ gut ging mit „buy & hold“, aber das war früher keineswegs immer so … und es gibt keinen Grund zu unterstellen, dass Abwärtsbewegungen, nach denen es viele Jahre braucht, um zurück an alte Hochs zu gelangen, dauerhaft der Vergangenheit angehören.
Also? Also agiert man auch heute nicht „ohne“. Ja, es macht ein wenig Arbeit, weil man die Kurse verfolgen und die Stoppkurse entsprechend anpassen muss. Aber eine Absicherung für den Fall der Fälle zu haben, ist wohl ein wenig Aufwand wert, immerhin geht es hier um Ihr Erspartes!
Stoppkurs im Kopf oder Stop Loss?
Manch einer will den zusätzlichen Aufwand umgehen, indem er/sie sich sagt: Ich muss doch meinen Stoppkurs nicht direkt aktiv halten, indem ich einen Stop Loss als Verkaufsorder bereits eingebe und die dann immer wieder prüfen und anpassen muss. Ich schaue einfach ab und an auf den Chart und dann sehe ich ja, ob ich aussteigen müsste.
Davon mal abgesehen, dass sich die Kurse bisweilen äußerst rasant bewegen, das nicht vorher absehbar ist und man daher mit dieser Methode oft zu spät kommen würde, hat sie den Nachteil, obenstehenden Ausreden Tür und Tor zu öffnen. D.h. man hat eigentlich vor, bei einem Kurs von X auszusteigen, sieht diesen unterboten, zaudert, bleibt doch lieber investiert und rutscht so immer weiter ins Minus.
Stop Loss-Verkaufsorders sind daher immer die bessere Wahl, denn so kommt man gar nicht erst in Versuchung, sich um die unangenehme Konsequenz, einen geschrumpften Gewinn oder gar ein Minus realisieren zu müssen, herum zu winden.
Und das gilt auch trotz der Tatsache, dass man damit manchmal in eine Falle tappt. Passieren kann so etwas immer, Bären- und Bullenfallen gehören eben zum Kursgeschehen dazu. Dann muss man eine unglücklich ausgestoppte Position eben, wenn die Charttechnik das befürwortet, wieder einsammeln, wie im folgenden Beispiel von adidas:
Aber es gibt auch Situationen, in denen man mit einem Stop Loss in eine „Falle mit Ansage“ tappen würde. Vor allem bei ohnehin volatilen Aktien, bei denen man gerade wegen starker Bewegungen grundsätzlich nicht ohne Stop Loss agieren sollte. Und zwar dann, wenn Quartalszahlen anstehen, dazu das folgende Beispiel:
Fallen mit Ansage: Das kann/muss man vermeiden
Hier sehen wir die Alphabet C-Aktie (ehem. Google), eine der großen „Mega-Caps“ der Nasdaq und entsprechend spekulativ und volatil. Da sind Kurslücken zum Handelsstart keine Seltenheit, weshalb man bei derartigen Aktien für den Stop Loss immer einen gehörigen Risikopuffer einkalkulieren muss. Aber so richtig heftig wird es, wenn bei solchen Aktien Quartalsergebnisse ansehen, denn:
Die kommen fast immer am Abend nach US-Handelsende und sorgen, gerade weil hier so viele „Zocker“ mit von der Partie sind, oft für extreme Reaktionen in Form von sehr großen Kurslücken zum Handelsstart des darauffolgenden Tages. Da hilft es auch nichts, gleich am Morgen an einem europäischen Markt zu handeln, diese Lücken entstehen über Nacht und sind auch bei den Kursen in Euro morgens vorhanden. Größe: unberechenbar.
Wenn man da einen einigermaßen engen Stop Loss im Markt hätte, hieße das, als Beispiel: Die Aktie schloss am Vorabend bei 105 US-Dollar. Mein Stop Loss liegt bei 99 US-Dollar. Aber da der Kurs zum Handelsbeginn aufgrund einer durch die Bilanz bedingten Kurslücke bei 93 eröffnet, werde ich auch zum ersten Kurs, also zu 93, abgerechnet. Nicht tragisch, wenn die Aktie danach immer weiter fällt. Aber weil eine große Zahl an Stop Loss-Verkaufsorders den ersten Kurs selbst noch weiter drücken können, weil sie das Angebot vergrößern, aber in solchen Situationen nur wenige kaufen wollen, kann man da auch leicht in die Falle laufen.
Natürlich ist das alles kein Problem, wenn man Long ist und die Aktie eine Kurslücke nach oben statt nach unten generiert. Aber weiß man vorher, wie die Zahlen ausfallen und die Trader reagieren? Man weiß es nicht. Daher wäre es in solchen Fällen, wo man quasi „Kopf oder Zahl“ wetten müsste, besser, entweder den Stop Loss bewusst für diesen Tag zu löschen oder aber die Aktie im Vorfeld zu verkaufen. Tut man es nicht, sollte man sich Gewahr sein, dass man dann auf sein Glück vertrauen muss. Was aber, das sollte man nicht vergessen, auch dann der Fall wäre, wenn man nie Stoppkurse setzt.
Bei Indizes sind Fallen seltener, dort muss man mit Stop Loss arbeiten
Weniger unberechenbar sind Indizes. Hier haben wir ruhigeres Fahrwasser, weil die Vielzahl von Einzelwerten in einem Index die Bewegungen glättet und das Risiko abrupter Sprünge verringert. Zudem werden Indizes von großen Adressen über Futures stark gehandelt, so dass sie noch enger entlang charttechnischer Leitlinien laufen. Wer in einem Index über einen Blick auf die Charts erkennt, woran sich ein Auf- oder Abwärtstrend aktuell orientiert, sollte genau diese Zone mit einem Stop Loss absichern, hier das Beispiel des Hang Seng-Index in Hongkong. Bei Indizes oder ruhigeren Aktien, bei denen die Sprünge geringer und die Trends berechenbarer sind, sind Stop Loss also ohne Wenn und Aber ein Muss – und zwar zu jedem Zeitpunkt!
Dieser heutige Beitrag kann die Thematik natürlich nur anreißen, denn damit ließe sich problemlos ein Buch füllen. Daher der Tipp: Lesen Sie zu diesem Thema auch den folgenden Beitrag, in dem ich einige Vorschläge aufzeige, wie man Stoppkurse sinnvoll setzen und anpassen könnte:
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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