Diese Börsenwoche hat alles, was es für einen Börsenkrimi braucht: Die Entscheidungen von EZB und US-Notenbank, den Monatsultimo und, vor allem, das Stand jetzt für den Donnerstag erwartete Zusammentreffen von Xi Jinping und Donald Trump. Zeit, einen Blick auf Indikationen zu werfen, die Hinweise darauf liefern, wie es um den Aktienmarkt hinter der Oberfläche der reinen Kurse bestellt ist.
Am Sonntag kam die Meldung, dass man bei den Gesprächen der Verhandler Chinas und der USA eine „vorläufige Einigung“ erzielt habe, die nun interne Genehmigungsverfahren durchlaufen müsste. Das führte im dünnen Wochenend-Handel zu kräftigen Kursgewinnen am Aktienmarkt, der wohl heute Früh dann auch fester starten wird. Aber heißt das jetzt: the sky ist he limit“?
Das heißt es nicht. Zu vermuten wäre, dass diejenigen Anleger, die ohnehin seit Jahren immer risikobereiter/leichtsinniger agieren, jetzt alle Hemmungen fallen lassen. Aber solche komplett „enthemmten“ Märkte sind normalerweise auch der letzte Akt von dem Ende des Schauspiels. Wobei niemand abschätzen könnte, wann genau und auf welchem Kursniveau das endet. Dazu:
Crashgefahr? Die meisten wiegeln ab, aber …
Der vor allem in den USA sehr bekannte Finanzjournalist und CNBC-Moderator Andrew Ross Sorkin hat vor etwa zwei Wochen einen Börsencrash als ziemlich sicher angesehen, konnte aber weder dessen Zeitpunkt noch dessen Ausmaß angeben. Solche Warnungen gab es auch schon vereinzelt vor 1929. Und es passiert diesmal dasselbe wie damals. Ich lese gerade noch einmal „Der große Crash 1929“ von John Galbraith und konnte mir dadurch noch einmal in Erinnerung rufen, wie es damals lief:
Man unterstellte den Warnern persönliches Interesse und winkte ab, dass, wer warnt und dann nicht einmal weiß, wann genau was passieren wird, offenbar auch keine Ahnung hat. Keine Ahnung hatten in Wahrheit die, die abwiegelten … oder sie hatten persönliche Interessen. Denn niemand konnte damals vorhersehen, wann die emotional befeuerte Kettenreaktion beginnen würde, weil alle „Mitspieler“, die Anleger, ja schließlich auch nicht wussten, welche emotionalen Regungen sie ein oder zwei Tage später zu welchen Entscheidungen bringen würden.
Das ist heute genauso: Man unterstellt Sorkin, dass er das nur gesagt hat, weil er sein gerade erschienenes Buch über den 1929er-Crash promoten will (ist zu mir unterwegs, ich werde in Kürze an dieser Stelle berichten) und dass er keine Ahnung hat, wenn er nicht vorhersagen kann, wann auf welchem Kursniveau der Crash beginnt und wo er dann wann endet. Man kann es nur wiederholen: Keine Ahnung haben die, die abwiegeln … oder sie haben persönliche Interessen. Crashs entstehen vor allem, gerade weil man nicht wissen kann, wann sie kommen.
Kursverhalten wie vor knapp 100 Jahren
Grundsätzlich wären die Zutaten, die zumindest das Ende der Hausse besiegeln könnten, ob mit einem Crash (sehr selten, aber das heißt nicht unmöglich) oder einer relativ hartnäckigen Korrekturbewegung (die üblichere Variante), alle beieinander. Die Akteure werden immer leichtsinniger, weil sie dadurch, dass sehr negative Impulse immer weniger Auswirkungen auf den Aktienmarkt haben, glauben, dass absolut nichts passieren könnte. Und wenn, würden die US-Notenbank und der US-Präsident schon umgehend eingreifen. Das hat man 1929 übrigens auch gedacht. Und nicht verstanden (bzw. nicht verstehen wollen), dass keine Macht der Welt einen Crash verhindern, stoppen oder ungeschehen machen kann. Denn auch damals wollte keiner, was dann passierte. Das ist also kein Argument.
Und wenn wir uns ansehen, wie viele Akteure gerade extrem wild unterwegs sind, kann man schon unruhig werden. Sehen Sie sich als Beispiel die Aktie des Fleischersatz-Herstellers Beyond Meat an. Nachdem sie 2019 an die Börse kam, wurde sie gleich mal auf das dreifache ihres Startkurses hochgezockt. Es folgte ein Einbruch, ein mehrjähriges, wüstes Auf und Ab und dann die endgültige Baisse, die den Kurs, der im Juli 2019 240 US-Dollar erreicht hatte, zuletzt auf 50 Cent drückte. Doch plötzlich …

… explodiert der Kurs bei absurd hohen Umsätzen auf die Nachricht hin, man werde jetzt auch bei Walmart anbieten. Es folgte eine Nachricht über einen riesigen Kauf von Optionen mit Basispreis 9 US-Dollar. Die Leute wussten nichts, dachten aber: Der, der da gekauft hat, weiß mehr – und machten mit. Und dann kamen miese Quartalszahlen, die die Aktie wieder drastisch in die Knie zwangen. So etwas haben wir genau so schon damals, 1928 und 1929, erlebt. Oder besser: Nicht wir, sondern die, die damals dabei waren und heute natürlich nicht mehr leben. Und wie man weiß, vergessen die Märkte schnell. Vor allem, wenn Gier im Spiel ist.
Einschub: Was weiß man eigentlich?
Dass man bereit ist, alles zu glauben und auf alles zu reagieren, was ins eigene Bild passt und zugleich sorgsam vermeidet, die Kehrseite auch nur zur Kenntnis zu nehmen, ist eines dieser für Außenstehende absurd wirkenden Phänomene einer Hausse bzw. des Verhaltens derer, die dort dabei sind. Denn auch, wenn ich am Sonntagabend nicht sicher sein kann, was die Aktienmärkte jetzt, während Sie dies lesen, treiben, darf man doch vermuten, dass man an der Börse aktuell die scheinbare Einigung USA/China feiert, obwohl die neuen Rekorde diese längst vorweggenommen haben.
Und obwohl … und das ist besonders drastisch … man gar nicht weiß, was genau diese „vorläufige Einigung“ beinhaltet, die dann am Donnerstag von Xi und Trump abgesegnet wird … oder auch nicht! Sollten wir heute kräftig steigende Kurse sehen, sehen besonnene Anleger hinter den Kursen das wachsende Risiko. Die Käufer hingehen sehen es nicht. Aber zurück zum Punkt: Wie „heiß gelaufen“ sind die Aktienmärkte denn jetzt, allen voran der Markt, um den sich letztlich auch jetzt alles dreht, der US-Aktienmarkt?
Zocken auf Pump: Ein Indikator der Risikobereitschaft
Derivate zu handeln ist für sich genommen spekulativ. Wenn man das Geld, was man z.B. für Futures oder CFDs als Sicherheit (Margin) zu hinterlegen hat, aber gar nicht hat, sondern es sich leiht, wird es extrem. Der folgende Chart zeigt, dass das Volumen dieser Margin-Kredite aktuell ein Allzeithoch erreicht hat. Zeigt das an, dass die Party in Kürze vorbei ist, weil zu viele zu viel riskieren?

Nein, denn die Sache hat einen Haken: Richtig ist zwar, dass neue Hochs bei den Margin-Krediten mit neuen Hochs am Aktienmarkt zusammengehen und danach immer ein kräftiger Abstieg kam. Aber dass es nach einem Hoch runter geht, liegt ja in der Natur der Sache, sonst wäre es ja keines. Nur kann man eben nicht vorhersagen, wo genau dieses Hoch liegen wird. Es kann jetzt erreicht sein … es kann aber genauso noch Monate auf neue Rekorde gehen. Und dass dieses Kreditvolumen steigt, liegt zum Teil auch daran, dass die Margins bei steigenden Kursen mit steigen. Das bedeutet also nicht zwangsläufig, dass das Volumen der Derivate, die auf Pump gekauft werden, an sich gesehen größer wird.
Allerdings sehen wir in diesem Chart, dass die Summe der Börsenkredite aktuell dem Markt deutlich davonläuft. Also ja, aktuell nimmt die Risikobereitschaft noch mehr zu. Das ist aber eben nur ein Warnsignal, weil wir nie wissen können, wo „oben“ sein wird.
Barreserven der Fonds: Niedrig sind sie, aber noch nicht extrem niedrig
Das gilt auch für die Bargeld-Reserven der US-Fonds, deren Verlauf wir im folgenden Bild sehen. Je geringer diese werden, desto höher ist der Optimismus einerseits der Anleger, die die Fonds mit immer neuem, frischem Geld „füttern“, so dass diese letztlich gezwungen sind, dieses Geld auch zu investieren und andererseits der Optimismus der Fondsmanager selbst, denn:

… ob die Entscheider dort das einlaufende Kapital nur teilweise investieren oder voll in den Markt geben und ihre Bargeld-Reserve zugleich verringern, um mit vollen Segeln im starken Wind dabei zu sein, ist auch ein Signal dafür, dass hier die Risikobereitschaft steigt. Was zwar ein Kontraindikator ist, sprich je risikofreudiger alle werden, desto größer wird auch dieses Risiko. Aber erstens ist auch hier kein Timing möglich, zweitens sehen wir, dass diese Barreserven derzeit zwar im Vergleich zu den letzten Jahren niedrig sind, aber noch nicht auffällig niedrig. Ein Warnsignal ist das sicherlich, ein Alarmsignal noch nicht.
New Highs/New Lows: Viel zu wenige neue Hochs … aber auch hier mit einem „aber“
Das gilt auch für die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs und 52-Wochen-Tiefs an der New York Stock Exchange an der Börse aktuell. Was wir sehen ist, dass die Zahl neuer 52-Wochen-Hochs am Freitag für einen Tag, an dem die großen US-Indizes allesamt neue Rekordhochs markierten, verblüffend klein ist. Das zeigt: Viel zu wenige Aktien tragen diese Hausse. Nur: Das wissen wir schon länger.

Es sind die Mega-Caps, die ziehen und deren immer größer werdende Gewichtung den Gesamtmarkt auf neue Rekorde schraubt, während relativ viele andere Aktien nicht mitlaufen. Das erhöht das Risiko, denn wenn eine Hausse auf zu wenigen Beinen steht, besteht immer die Gefahr, dass Enttäuschungen bei den Zugpferden die Sache insgesamt kippen. Und so, wie einige Aktien zuletzt liefen, kann selbst „gut“ nicht mehr gut genug sein. Aber es gibt auch hier ein „aber“:
Wir sehen in diesem Chart auch, dass die Zahl neuer 52-Wochen-Tiefs ebenfalls auffallend niedrig ist. Das deutet momentan zwar nur an, dass die Anleger jetzt auch die zurückgebliebenen Aktien aufsammeln, weil sie sie als „billig“ einstufen (meist nur wegen des niedrigen Preises, siehe das Beispiel Beyond Meat oben). Aber erst, wenn die Zahl der neuen Tiefs die der Hochs deutlich und für mehrere Wochen übertrifft, ist das Risiko einer echten Abwärtswende hoch. Man sollte diese Indikation im Auge behalten, aber ein Verkaufssignal senden diese Daten bislang nicht.
KGV: Was teuer ist, kann auch noch viel teurer werden
Je nach der Art der Berechnung haben Dow Jones und DAX außerhalb der Verzerrungen durch Rezessionen oder Ereignisse wie Corona jetzt hohe oder sogar rekordhohe Bewertungen in Bezug auf das Kurs-/Gewinn-Verhältnis (KGV) erreicht. Welches man für Indizes aus dem Schnitt der KGVs der in ihnen enthaltenen Aktien ermittelt. Das ist ein Zeichen für wachsendes Risiko. Aber es ist in erster Linie nur ein Anlass, um noch vorsichtiger bzw. wachsamer zu sein. Wie auch die anderen Indikationen, die den „inneren Zustand“ der Märkte messen, gibt auch diese Indikation Hinweise auf den Grad des Risikos, aber sie kann keine unmittelbaren Signale für den Kauf oder Verkauf liefern. Der Grund ist klar:

Was billig ist, kann noch viel billiger werden, lautet eine alte Börsenregel. Was aussagen soll, dass man nicht einfach blind in fallende und dadurch vermeintlich billige Kurse hinein kaufen soll. Das gilt aber auch umgekehrt: Was teuer ist, kann noch viel teurer werden. Ja, die KGVs von Dow Jones und DAX sind hoch. Aber wenn das die Masse der Käufer stören würde (oder sie es wüssten, den meisten sagen ja selbst solche Basisindikatoren mangels Fachkenntnis nichts), wären die Indizes gar nicht erst so teuer geworden. Daher wird sie das nicht von weiteren Käufen abhalten. Also?
Das Risiko steigt, aber was fängt man damit an?
Diese Indikationen zeigen, dass die Risiken steigen. Und das auch ohne Berücksichtigung des Umstands, dass die Rahmenbedingungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene keineswegs zu einer Dauer-Hausse passen. Es ist entscheidend, das zu wissen. Denn nur dann ist man imstande, umgehend, besonnen und richtig zu handeln, wenn die Sache kippt. Wer da dann aus allen Wolken fällt, reagiert fast immer hektisch und völlig falsch.
Aber man muss eben auch sehen, dass das Umfeld schon länger nicht zu dieser Hausse passt und die Akteure seit Jahren immer weniger Fachwissen haben, dafür aber immer riskanter agieren. Das steigert die Gefahr eines „Sudden Death“ der Hausse, keine Frage. Aber das zu wissen, bringt einen nicht näher an die Antworten auf die Fragen nach dem „Wann“ hinsichtlich der Abwärtswende und nach dem „Wo“ in Bezug auf das Hoch. Auch das war übrigens vor 1929 genauso. Rein vom Verstand her hätte das alles damals schon 1927 zusammenbrechen können, ja müssen. Erst Angst kann die Hausse beenden. Was die auslöst, ist nie vorhersehbar, sicher ist nur: In Phasen wie diesen ist sie besonders ansteckend.
Fazit: Einfach auf Short zu drehen wäre immer noch ein Glücksspiel. Aber zu wissen, wo der Notausgang ist und sprungbereit in dessen Nähe zu weilen, um raus zu sein, bevor ihn eine panische Masse verstopft, das wäre äußerst ratsam. Denn wer die Börse verstanden hat, weiß definitiv eines: Man weiß nie, was passieren wird!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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