Börse aktuell

Hier erfahren Sie, was an der Börse aktuell geschieht. Unser Börsenexperte Ronald Gehrt beobachtet täglich das aktuelle Börsengeschehen und fasst die neuesten Börsendaten und Börsenberichte wöchentlich für Sie zusammen. Mit Börse aktuell bringen wir die wichtigsten Börsennachrichten auf den Punkt und kommentieren, was momentan an der Börse los ist.

Börse: Aktuelle Nachrichten der Woche

Neues von der Börse: Unsere aktuellen Börsennachrichten informieren Sie jede Woche über die derzeitige Börsenentwicklung. Was beschäftigt die Börse? Was steht diese Woche an? Diktieren Bullen oder Bären die Märkte? Sollten Sie Ihre Investitionen erhöhen oder lieber Gewinne mitnehmen? Wir geben Ihnen die Antworten auf diese Fragen, wagen einen Ausblick auf die kommende Börsenwoche und bewerten anstehende Ereignisse, die Auswirkungen auf den Börsenverlauf haben könnten.


Börse aktuell vom 04.-10.12.2023

Die ersten 2024er-Prognosen für den S&P 500 sind da … und sind bezeichnend

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S&P 500
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Sind Sie bullish für den US-Aktienmarkt? Dann sehen Sie sich die 2024er-Prognose der Deutschen Bank an und ignorieren den Rest. Sind Sie bärisch für den US-Aktienmarkt? Dann sehen Sie sich die 2024er-Prognose von JPMorgan an und ignorieren den Rest. Die Ausblicke der Banken für den S&P 500 als wichtigstem US-Aktienindex gehen deutlich auseinander. Und das sollte man lieber nicht ignorieren.

Wie üblich hat Mitte November die Saison der Weissagungen begonnen. Da schauen Banken und Investmenthäuser in ihre Glaskugeln und verkünden dem gespannten Investor, womit denn im kommenden Jahr zu rechnen sei. Als Anker für den US-Aktienmarkt prophezeit man da die Jahresendlevels des marktbreiten Standard & Poor’s 500-Index. Und nicht zum ersten Mal kommt dem geneigten Anleger der Verdacht, dass die genutzten Glaskugeln womöglich von verschiedenen Herstellern stammen. Denn über die Frage, wo die Reise 2024 wohl enden mag, ist man ziemlich unterschiedlicher Ansicht, wie die folgende Grafik zeigt, die die ersten S&P 500-Prognosen für 2024 darstellt, derer ich bislang habhaft werden konnte.

Der S&P 500 hat 2024 Luft nach oben … oder doch nach unten?

4.200 Punkte sieht JPMorgan Ende des kommenden Jahres, 5.100 die Deutsche Bank. Aktueller Stand des Index am 1.12. zum Handelsende: 4.594,63 Punkte. Die bislang optimistischste von mir gefundene Variante sieht also noch 500 Punkte Luft nach oben, die pessimistischste 400 Punkte Luft nach unten. Bevor man darüber nachsinnen könnte, wer da wohl am Ende Recht behält, sticht einem eines ins Auge: Allzu breit ist diese Spanne zwischen der höchsten und niedrigsten Prognose ja nicht. Entweder ist man sich nicht recht sicher, wie es weitergeht und lehnt sich deshalb nichtweit aus dem Fenster … oder viele erwarten, dass 2024 nicht viel los sein wird am Aktienmarkt.

Börse aktuell: Prognosespanne der Banken für den S&P 500 für 2024 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Prognosespanne der Banken für den S&P 500 für 2024 | Quelle: marketmaker pp4

Dazu kommt einem sofort noch ein anderer Gedanke: Wenn diese Berechnungen in Sachen Zukunft etwas taugen, dann könnte es doch, da ja hier Experten am Werk sind, eigentlich nur ein Ergebnis geben, falls die Zukunft berechenbar wäre. Und wenn sie es nicht ist und deshalb so unterschiedliche Kursziele verkündet werden, wozu dann das Ganze?

Eine gute Frage. Letzten Endes handelt es sich bei solchen Prognosen um die Quintessenz aus einer immensen Zahl einzelner Annahmen. Und je nachdem, wie der Analyst und/oder das Computerprogramm, die zur Ermittlung eines Kursziels für den S&P 500 unbekannte Größen durch konkrete Werte ersetzen, steigt oder fällt der Wert, den der S&P 500 dann am Ende des Jahres erreichen würde. Ein gutes Beispiel dafür, wie solche offenen Fragen mit Antworten versehen werden, sind die fünf Gründe, die die BofA, d.h. die Bank of America, dafür nennt, warum der S&P 500 bis Ende nächsten Jahres 5.000 Punkte erreichen wird:

Fünf Argumente für „S&P 500 bei 5.000“ … die aber alle nur „Meinungen“ sind

1. Es herrsche keine „Partystimmung“, so die Bank, d.h. die Investoren sind nicht euphorisch. Das ist gut, denn eine zu gute Stimmung führt zu einer zu hohen Risikobereitschaft und der Gefahr, dass dem Markt die Käufer ausgehen, weil jeder bereits hoch oder voll investiert ist.

Schön und gut, aber woher wissen die BofA-Analysten, dass das 2024 so sein wird? Das stimmt sogar jetzt nur bedingt, denn der „Fear & Greed“-Index von CNN, der den Grad der Angst oder der Gier am US-Aktienmarkt misst, steht aktuell mit 67 von 100 Punkten sehr wohl in einem zumindest leicht euphorischen Bereich. Und woher in aller Welt will denn wer auch immer wissen, ob die Partystimmung nicht bereits morgen einsetzt … oder im Januar … oder im April?

2. Die Gewinnmargen der Unternehmen werden steigen. Sehr erfreulich, das bedeutet höhere Unternehmensgewinne als Fundament steigender Aktienkurse.

Aber wenn die Inflation besiegt ist, steigen die Preise nicht mehr. Wenn die Preise nicht steigen, dann können die Margen nur zulegen, wenn die Kosten sinken. Das aber würde eher zu Deflation führen, was aber die erwarteten Leitzinssenkungen stoppen würde. Und steigende Margen sind nur dann drin, wenn die Verbraucher auch fleißig immer mehr kaufen. Was indes, wenn doch die Leitzinsen sinken sollen, eher unwahrscheinlich ist, weil dann gemeinhin die Phase des Abwartens auf noch niedrigere Preise einsetzt.

3. Die Gewinne pro Aktie werden auch bei einem schwächeren Wirtschaftswachstum steigen.

Das wäre natürlich prima, ist aber letztlich nur eine andere Darstellung von „die Margen werden steigen“ und damit m.E. kein eigenständiges Argument.

4. Wahljahre sind positiv für Aktien.

Oh je. Das sind Argumente, die für mich persönlich das Ganze mit einem Schlag disqualifizieren. Ja, richtig ist, dass der Dow Jones in den letzten 120 Jahren im Schnitt in einem Präsidentschaftswahljahr etwa fünf Prozent zulegt. Aber erstens geht es, wenn man so etwas schon glaubt, obwohl man erkennen müsste, dass zig Wahlen am Ende nur einen „statistischen Matsch“ produzieren, im ersten Halbjahr solcher Jahre eher abwärts. Zweitens sind Vorwahljahre von der Durchschnittsperformance deutlich besser, Nachwahljahre genauso gut wie Wahljahre und nur Zwischenwahljahre eher mies. Und drittens ist ein Schnitt von fünf Prozent Plus ja eher kein Argument, jetzt mit Mann und Maus in Aktien einzusteigen.

5. Die Deglobalisierung ist für die USA positiv. D.h. die Verringerung von Importen soll die US-Wirtschaft stabilisieren und fördern.

Nun, das behaupten zwar viele. Aber warum hat man wohl in all den Jahren zuvor so viel ins Ausland verlagert? Weil man so billiger produzieren kann, die Gewinne damit höher sind und das entscheidend für das US-Wachstum der letzten zwanzig Jahre war. Dass jetzt das Gegenteil richtig ist, mit dem Argument „made in U.S.A.“ sei besser und die höheren Kosten durch höhere Löhne würden eben wegen der höheren Löhne durch einen steigenden Absatz von US-Produkten kompensiert, ist zwar eine nett klingende Behauptung. Aber dass die Importe aus China vor allem in schwierigen Wirtschaftsjahren steigen, die US-Exporte aber nicht, sagt eigentlich alles.

Die einen sagen so … und die anderen so

Fassen wir mal zusammen: Diese Argumente sind einfach nur Argumente, aber da ist nichts, was zwingend dazu führen müsste, dass sie eintreten bzw. richtig sind und das auch noch dazu führt, dass der S&P 500 im kommenden Jahr gut laufen und die 5.000er-Marke erreichen wird.

Und wie kommt es, dass JPMorgan mit seiner Prognose unter den hier genannten Prognosen als einziges Institut mit einem fallenden S&P 500 rechnet, das bullische Argument der Bank of America, dass die Gewinne pro Aktie steigen werden, nicht nur nicht teilt, sondern das genaue Gegenteil erwartet? JPMorgan erwartet nämlich signifikanten Druck auf die Unternehmensgewinne und empfiehlt seinen Kunden, die Risiken für 2024 herunterzufahren. Irgendwer muss da ja wohl falsch liegen?

Eine Kette aus Annahmen ist nichts anders als … raten!

In einem Jahr könnten wir womöglich feststellen, dass alle falsch lagen, weil der S&P 500 deutlich unter 4.200 oder deutlich über 5.100 Punkten ins 2024er-Jahresende ging. Und sollte eine dieser Glaskugeln doch den richtigen Wert angezeigt haben, dann war das nichts anderes als Zufall, denn überlegen wir doch mal: Wie viele offene Fragen birgt die Zukunft des neuen Jahres? Nur um mal ein paar zu nennen:

Werden die Preise durch den trotz immens teurer gewordene Kredite bislang stabilen US-Konsum weiter steigen? Oder werden die Verbraucher doch langsam einen Gang zurückschalten? Wer will das denn bitte vorhersagen? Wer sich einbildet, die immer emotionalen Kaufentscheidungen von über 300 Millionen US-Bürgern über ein ganzes Jahr vorhersehen zu wollen, tja, der bildet sich das halt nur ein.

Börse aktuell: Kurs/Gewinn Verhältnis der Aktien des Dow Jones von 2013 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Kurs/Gewinn Verhältnis der Aktien des Dow Jones von 2013 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Aber wenn man nicht weiß, ob die Preise weiter steigen, stabil bleiben oder fallen, kann man damit auch nicht vorhersagen, ob und wann die Leitzinsen fallen. Kann nicht vorhersagen, wie schnell die Kredit- und Hypothekenzinsen dann mitziehen. Und ob es mit den Zinsen dann so schnell nach unten geht, dass der US-Konsum bereits 2024 so stark anzieht, dass die Unternehmensgewinne deutlich zulegen. Denn das wäre nötig, damit die in der vorstehenden Grafik am Beispiel des Dow Jones gezeigte, historisch schon ziemlich teure Bewertung des Aktienmarkts genug sinkt, um überhaupt noch ein Argument für Käufe zu bieten.

Allerdings weiß man ja eigentlich, dass all das nicht das einzige Argument für steigende oder fallende Aktienmärkte ist. Ein Wahljahr ist nicht automatisch bullisch, es kommt immer darauf an, ob sich dadurch eine positive Perspektive für die Wirtschaft in den kommenden Jahren abzeichnet oder nicht. Dann wären da noch die Geopolitik und ihre Auswirkungen, z.B. das Verhältnis zu China, auch und gerade mit Blick auf die Frage, wer als nächster ins Weiße Haus einzieht. Oder das Verhalten der OPEC in Sachen Ölpreis, der Nahe Osten als Risikofaktor und so weiter.

All das wird von den Investoren individuell und subjektiv gewertet, d.h. wir haben nun einmal diesen ewigen Filter zwischen den Fakten und den Kursen in Form der subjektiven Beurteilung der Lage durch den Anleger. Und das will jemand vorhersagen können? Ein ulkiger Gedanke.

Die schönste Simulation taugt nichts, wenn …

Und zuletzt wäre da ja noch etwas: der Markt selbst. Der S&P 500 ist derzeit markttechnisch heiß gelaufen, weil diejenigen, die in den vergangenen Wochen wie entfesselt gekauft haben, unterstellen, dass die Inflation besiegt ist, dies zu baldigen Leitzinssenkungen führen wird und das bullisch für den Markt wäre. Angenommen, all diese Annahmen wären schlüssig und richtig, was sie meines Erachtens nicht sind:

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 von 2021 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 von 2021 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Man hätte dieses optimale „Goldilocks“-Szenario dann ja jetzt eingepreist. Angenommen, es kommt wie unterstellt, würden diese Vorkäufe den Spielraum nach oben begrenzen. Angenommen, es käme nicht wie erhofft, würde das über kurz oder lang eine größere Korrektur auslösen. Wie das laufen wird, kann keine Simulation vorhersehen, weil nichts und niemand die Wirkung dieses emotionalen Filters zwischen Fakten und Anleger berechnen könnte. Davon natürlich ganz abgesehen, dass man die Fakten, die da dann subjektiv gewertet werden, auch noch nicht kennt.

Außerdem fließt ja momentan Geld in alle Bereiche: Dass die Renditen am Anleihemarkt im Vorgriff auf Leitzinssenkungen, von denen die US-Notenbank bislang nichts andeutet, fallen, basiert ja darauf, dass Anleihen derzeit stark gekauft werden. Deren deswegen steigenden Kurse bewirken diesen Rendite-Abstieg. Zugleich saust Gold in Richtung Allzeithoch und die Aktienmärkte in Europa und den USA klopfen ebenfalls an ihre Bestmarken. Da Geld aber nicht unbegrenzt vorhanden ist, wird gerade allerhand Kapital, das bislang als Cash-Reserve bereitstand, in den Ring geworfen. Wie viel bleibt da dann noch für ein starkes Börsenjahr 2024?

Das kommt darauf an, ob genug Anleger überzeugt sind, dass sie jetzt noch mehr kaufen und nötigenfalls alle Reserven mobilisieren müssen, weil die Party jetzt erst richtig losgeht. Aber weiß man, was zahllose Menschen morgen und übermorgen von einer Gesamtsituation halten werden, von der niemand weiß, wie sie überhaupt aussehen wird? Natürlich weiß man das nicht. Die beste Simulation taugt nichts, wenn Emotionen mitspielen. Und da es Menschen sind, die den Trend machen, sind diese Emotionen permanent mit von der Partie. Also?

Die Prognose-Argumente abzuklopfen ist sinnvoll, blind dem „Lieblings-Kursziel“ zu folgen nicht

Sich die Argumente, die da vorgebracht werden, genauer anzusehen, ist zu empfehlen, denn auf diese Weise klopft man auch die eigenen Argumente noch einmal auf ihre Tragfähigkeit ab und entdeckt womöglich so manchen wichtigen Aspekt, den man bislang nicht auf dem Zettel hatte.

Aber die Weissagungen in Form konkreter Kursziele an sich, die sollte man besser ignorieren. Zumal sie die Gefahr bergen, dass man sich einfach das Kursziel heraussucht, das am besten zur vorgefassten, eigenen Meinung passt und man dadurch nur noch starrer an eigenen Vorstellungen festhält. An Vorstellungen, die man als kluger Investor im Gegenteil immer wieder hinterfragen sollte, um nicht von einer völlig anders als gedacht laufenden Entwicklung überrumpelt zu werden.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

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Börse aktuell: DAX, Dow Jones und Co.

Die heutigen Top-News und Börsenmeldungen zum DAX und der Börse USA mit dem Dow Jones, dem Nasdaq und dem S&P 500 als weltweit einflussreiche Indizes bilden einen Schwerpunkt unserer aktuellen Berichterstattung von der Börse. Auch gute Aktien, die momentan sehr stark im Fokus der Anleger stehen und steigende Börsenkurse prophezeien, werden wir Ihnen hier vorstellen. So bekommen Sie einen umfassenden Börsenausblick und können Ihre eigenen Börsenprognosen verifizieren oder falsifizieren.

Börse: Aktuelle Entwicklung und Trends

Die aktuelle Entwicklung und der aktuelle Trend an der Börse werden maßgeblich von Wirtschaftsnachrichten, Konjunkturdaten und Neuigkeiten von börsennotierten Unternehmen bestimmt. Diese wirken sich nicht nur auf Aktienkurse aus, sondern auch auf andere Assetklassen wie börsengehandelte Fonds, Optionen und Futures. Des Weiteren werden durch Börsennachrichten auch die Anleihemärkte und Rohstoffmärkte in Bewegung versetzt. Daher haben wir auch die Zinsen, den Ölpreis und Goldpreis immer im Blick.

Börse: Aktuelle Tipps zum Marktgeschehen

Neben Börsennews bekommen Sie auch hilfreiche Tipps, um das gegenwärtige Marktgeschehen besser zu interpretieren. Der Börsenmarkt setzt sich aus vielen verschiedenen Märkten zusammen. Jedes Land, jede Branche und jedes Finanzprodukt wird von individuellen Faktoren beeinflusst, sodass es schwierig ist, alle Märkte mit ihren jetzigen Chancen und Risiken zu verfolgen und zu analysieren. Mit Börse aktuell liefert Ihnen unser Börsenprofi die Börseninformationen, die wirklich wichtig sind, und zugleich eine kompakte Börsenvorschau der Woche.

Börse aktuell: Die letzten Nachrichten

In den USA ebenso wie in der Eurozone gehen die Geldmengen zurück. Ein seltenes Phänomen, das den Gedanken aufkommen lässt, dass auch dem Aktienmarkt das Geld knapper werden müsste. Und wenn kein frisches Geld kommt, sondern welches abgezogen wird, müssten die Kurse fallen. Das klingt im ersten Moment logisch. Aber so ist es nicht.

Der folgende Chart zeigt, dass die Geldmenge M3 in der Eurozone spürbar, in den USA sogar deutlich fällt, insgesamt gesehen mehr als in  den letzten Jahrzehnten seit Beginn der gezeigten Datenreihe im Jahr 1986. Weniger Geld im Umlauf … das muss der Börse doch schaden? So einfach ist es nicht, denn Geld ist ja überall „unterwegs“, warum sollte es also ausgerechnet am Aktienmarkt weniger werden? Aber erst einmal der Versuch einer Erklärung, um was genau es bei dieser Geldmenge eigentlich geht.

Börse aktuell: Entwicklung der Geldmenge in den USA und der Eurozone im Vergleich von 1986 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Geldmenge in den USA und der Eurozone im Vergleich von 1986 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Was genau ist die „Geldmenge“ eigentlich?

Die Geldmenge ist die Summe an Geld der entsprechenden Währung, die sich außerhalb von Banken befindet. Also beim Staat, bei Unternehmen oder in den Händen der Privathaushalte. Dabei gibt es verschiedene Messgrößen, in denen bestimmte Elemente zusätzlich berechnet werden. Am geläufigsten ist die sogenannte Geldmenge M3, bei der zum Bargeld noch Sichteinlagen, Einlagen mit festgelegter Laufzeit und Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapiere und Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren eingerechnet werden.

Das ist alles ziemlich kryptisch. Und ich muss zugeben, dass mir beim Thema Geldmenge schon vor 35 Jahren im Studium der Kopf geraucht und sich das nie geändert hat. Aber falls es Ihnen ähnlich gehen sollte: Sagen wir einfach, es geht im Großen und Ganzen um Geld, das vorhanden und nutzbar ist. Wobei der Punkt, dass es um Geld von „Nichtbanken“ geht, wichtig ist.

Denn daraus leitet sich ab, dass die Geldmenge steigt, wenn die Banken mehr Kredite ausgeben. Immerhin dürfen Banken das Mehrfache dessen, was sie selbst an Geld im Keller haben, als Kredit ausgeben und so aus einem Euro im Umlauf viele Euros machen. Eine alles andere als unproblematische Sache, aber das ist ein anderes Thema. Wenn aber mehr Kredite abbezahlt werden als neu vergeben werden, bedeutet das im Umkehrschluss: Die Geldmenge sinkt.

Der Zusammenhang zwischen Leitzins und Geldmenge

Und dieses Phänomen sehen wir gerade in den USA und der Eurozone. Der nächste Chart zeigt, dass die stark gestiegenen Leitzinsen dafür entscheidend sind. Hier sehen wir, dass Phasen steigender Leitzinsen, die letztlich ja auch Kredite verteuern, dazu führten, dass die Geldmenge entweder deutlich langsamer wächst oder, wie Ende der Achtziger und aktuell, sogar sinken kann. Was nachvollziehbar ist, denn wenn Konsum und Investitionen auf Kredit deutlich teurer werden, wird die Nachfrage nach solchen Krediten sinken.

Börse aktuell: Entwicklung Geldmenge und Leitzins in den USA im Vergleich von 1984 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Geldmenge und Leitzins in den USA im Vergleich von 1984 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Und das ist ja auch der Weg, den die Notenbanken gehen: Durch eine Verschärfung der Rahmenbedingungen am Geldmarkt will man die Nachfrage eindämmen und dadurch erreichen, dass die Preise nicht weiter steigen.

Wobei, das sehen wir im Chart Anfang der Neunzigerjahre, später wieder sinkende Leitzinsen müssen nicht zwingend dazu führen, dass die Geldmenge durch eine massiv ansteigende Kreditnachfrage wieder anzieht. Denn natürlich hängt das entscheidend davon ab, ob sich Verbraucher und Unternehmen in einem Gesamtumfeld wiederfinden, das positiv genug ist, um Anschaffungen auf Kredit oder Investitionen in Wachstum zu rechtfertigen.

Das wird auch diesmal die entscheidende Frage sein, sobald sinkende Leitzinsen die Kreditfinanzierung wieder deutlich verbilligen. Aber in welchem Umfeld wir uns dann befinden, kann man nicht absehen, auch nicht, wann die Zinssenkungen beginnen und auf welchem Level sie enden werden. Ein Blick voraus auf Basis früherer Beispiele ist daher nicht sinnvoll … aber auch nicht der Punkt des heutigen Beitrags. Die Frage steht noch im Raum: Bremst eine sinkende Geldmenge den Aktienmarkt aus, ja oder nein?

Die Geldmenge sinkt in den USA und der Eurozone. Aber woanders nicht!

Das kann sie. Aber sie muss es in keiner Weise. Zwar führt ein sinkendes Volumen an umflaufenden Geld, primär durch ein sinkendes Kreditvolumen ausgelöst, zu Druck auf die Wirtschafsleistung. Das war auch so in den USA Ende der Achtiger- und Anfang der Neuzigerjare, wie wir im folgenden Chart sehen, der diese Zeitspanne vergrößert herausstellt. Aber wir sehen hier auch, dass eine sinkende Geldmenge und ein nachgebendes Wirtschaftswachstum den Aktienmarkt, hier repräsentiert durch den marktbreiten S&P 500-Index, nur ein wenig bremste, nicht aber in einen Abwärtstrend beförderte. Wieso nicht? Das hat zwei entscheidende Gründe:

Börse aktuell: Entwicklung Geldmenge, BIP der USA und S&P 500 im Vergleich von 1988 bis 1995 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Geldmenge, BIP der USA und S&P 500 im Vergleich von 1988 bis 1995 | Quelle: marketmaker pp4

Zum einen werden die Geldmengen ja in den jeweiligen Währungsräumen gemessen. Aber für den Aktienmarkt ist es letztlich egal, wer da kauft, ob jemand innerhalb oder außerhalb des eigenen Währungsraums. Und da fällt auf:

Ja, EZB und US-Notenbank haben Geld „teuer gemacht“, indem sie die Zinsen markant angehoben haben, aber das gilt nicht für Japan, wo man weiter mit einem Leitzins von -0,1 Prozent agiert und noch weniger für China, wo man versucht, die Konjunktur mit einer Verbilligung des Geldes wieder flott zu machen. Dort steigen die Geldmengen M3 bzw. für China M2 … und diese wachsenden Geldmengen können in Sachen Aktienmarkt natürlich auch in Europa und den USA stabilisierend bzw. kurstreibend „einspringen“.

Wichtiger als die Menge des Geldes ist, wohin es fließt

Der zweite wichtige Grund, weshalb der Aktienmarkt durch eine sinkende Geldmenge nicht gebremst werden muss ist: Geld fließt ja nicht gleichmäßig verteilt in die verschiedenen Bereiche wie Investitionen, Konsum, Anleihen, Aktien oder verbleibt als Geld auf dem Konto. Es fließt dorthin, wo es aus Sicht derer, die das Geld besitzen, am lukrativsten angelegt scheint.

Und da haben die stark gestiegenen Leitzinsen nicht notwendigerweise die Wirkung, dass die dadurch viel höheren Renditen am Anleihemarkt Geld dorthin umleiten. Das wäre erst in größerem Umfang zu erwarten, wenn die Investoren mutmaßen, dass die jetzt erreichten Renditen relativ bald wieder sinken. Solange man wie derzeit mehrheitlich vermutet, dass das Hoch zwar durchaus nahe oder sogar erreicht ist, die Zinsen aber relativ lange auf diesem hohen Level bleiben, besteht für die Anleger keine Eile, vermehrt Geld in Anleihen zu investieren.

Börse aktuell: Entwicklung Zinsen in den USA, der Eurozone und S&P 500 im Vergleich von 2009 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Zinsen in den USA, der Eurozone und S&P 500 im Vergleich von 2009 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Zumal die hohen Preise, die ja, auch, wenn die Inflationsraten zurückgehen, bislang hoch bleiben, den Nebeneffekt haben können, dass man weniger konsumiert und weniger investiert. Was zwar die Unternehmensgewinne drückt, aber nicht zwingend die Aktienkurse. Denn ja, im Prinzip sind die Gewinne der Unternehmen der Leitstrahl für den Aktienmarkt. Aber sehr viele Akteure agieren ja mehr emotional als rational … und wenn der Trend der Kurse, so wie momentan, nach oben weist, greift die alte Regel: Geld zieht noch mehr Geld an. Was bedeuten kann (nicht muss, aber kann), dass Geld, das nicht in Konsum oder Investitionen fließt und daher frei bleibt, einfach im Aktienmarkt „geparkt“ wird, so dass dadurch sogar noch mehr Geld in Aktien fließt als sonst.

Es ist also weniger die insgesamt verfügbare Geldmenge, die den Aktienmarkt lenkt als die Entscheidungen der Investoren weltweit, wohin sie ihr Geld lenken. Und solange viele den Aktienmarkt als lukratives Ziel wahrnehmen, wird ihn zumindest eine sinkende Geldmenge nicht ausbremsen!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Ich muss zugeben, es gibt keine Statistik in Sachen Börse, die ich mir nicht höchst interessiert ansehen würde. Aber oft endet das mit einem lächelnden Kopfschütteln. Denn auch bei noch so „eindeutig“ wirkenden Zahlenreihen kommt ein Faktor hinzu, der die Sache relativiert: Was war, ist an der Börse kein Wegweiser dafür, was kommt. Sehen wir uns einmal ein paar Beispiele an.

Der Grund für das heutige Thema der Kolumne ist das nahende Thanksgiving-Fest in den USA. Immer am vierten Donnerstag im November macht die Wall Street zu, es werden zig Millionen Truthähne gemeuchelt und verschlungen und immer genau zwei vom Präsidenten „begnadigt“. Das ist in den USA ein fast genauso den Patriotismus belebender Tag wie der Independence Day. Und die Statistik sagt:

Untersucht man die Kurse in einem langfristigen Zeitraster, ergibt sich für den marktbreiten US-Index S&P 500, dass die Woche, in der Thanksgiving stattfindet, die beste aller Börsenwochen des Jahres ist. Was einerseits daran liegen soll, dass die Feiertagsstimmung gute Laune macht und gute Laune zum Kauf an der Börse anregt. Und wohl auch daran, dass der noch nicht allzu lange existierende „Black Friday“ direkt am Tag danach stattfindet und wiederum direkt danach der „Cyber Monday“. Was die Hoffnung befeuert, dass das Weihnachtsgeschäft richtig durchstartet und die Aktienkurse belebt.

Viele Daten ergeben … Brei

Im Schnitt liegt die Performance des S&P 500 in der Thanksgiving-Woche um die +0,5 Prozent. Und da findet sich gleich mal Problem 1 von mehreren Problemen, die ich mit solchen Statistiken habe. 0,5 Prozent, das schafft der Index an einem normalen Tag bei guter Anleger-Laune in ein paar Minuten. Für eine ganze Woche ist das hingegen gar nichts. Aber warum ist das dann die beste Woche des Jahres, wenn man es im langjährigen Mittel betrachtet?

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 im November 2023 vor Thanksgiving and Black Friday | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 im November 2023 vor Thanksgiving and Black Friday | Quelle: marketmaker pp4

Na, weil man es eben im langjährigen Mittel betrachtet. Rechnet man das über einen langen Zeitraum, matscht sich gut und schlecht halt am Ende zu einem aussagearmen Brei zusammen.

Außerdem ist der November insgesamt gar nicht mal so gut, rechnet man die November-Performances seit 1928, kommt man für den S&P 500 bei +0,41 Prozent heraus, das liegt knapp unter dem Durchschnitt aller Monate, deren Performances über diese knapp 100 Jahre zwischen -1,13 und +1,39 Prozent liegen. Wie gesagt: Das ist „Brei“ und keine Richtungsvorgabe. Zumal wir ja im Chart sehen, dass der S&P 500 in der ersten November-Hälfte bereits dermaßen stark zugelegt hat, dass man zumindest eine Augenbraue hochziehen darf, wenn es um die Frage geht, ob man jetzt, zum Start in die berühmte Thanksgiving-Woche, wegen im Schnitt +0,5 Prozent in einem überkauften Index Long gehen müsste.

Vielleicht wäre man bei einem Hütchenspieler besser aufgehoben …

Diese Sache mit den guten und schlechten Monaten ist aus meiner Sicht ohnehin mehr eine potenzielle Fallgrube denn eine Trading-Hilfe. Dazu mal der Blick auf den DAX, dessen bester Monat im langjährigen Mittel der März, der schlechteste der September ist:

Börse aktuell: DAX bester und schlechtester Monat im langjährigen Mittel | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
DAX bester und schlechtester Monat im langjährigen Mittel | Quelle: marketmaker pp4

Siehe da, 2023 war der März in der Tat (auf den letzten Drücker) gut, der September schlecht. Allerdings sehen wir hier auch, dass der Oktober äußerst schwach war. Was er aber nach der Statistik nicht hätte sein sollen, denn im Schnitt weist der Oktober beim DAX ein Plus von 0,72 Prozent aus. Was sind denn das für Sachen!

Das Problem mit solchen Statistiken ist: Wenn man sie über eine zu kurze Zeitspanne errechnet, sind sie nicht verlässlich. Nimmt man aber eine lange Zeitspanne, wird „Brei“ daraus, dann geht die Aussagekraft gegen null. Und mal ehrlich:

Wenn Ihnen z.B. jemand sagen würde: Doch, doch, in 65 Prozent der Fälle tun sie das Richtige, wenn Sie jetzt eine Menge Geld auf eine statistische Vorgabe setzen … würden sie es tun? Auf eine 2:1-Chance auf Basis vergangener Ereignisse setzen, obwohl Sie wissen, dass sich die Lage am Aktienmarkt jederzeit abrupt ändern kann? Da ist man ja beim Hütchenspieler um die Ecke besser aufgehoben!

„self fulfilling prophecy“ … die Sache ist eine Glaubensfrage

Und rein rational betrachtet: Warum sollten denn bestimmte Monate verlässlich gut und andere verlässlich schlecht sein, ein ums andere Jahr erneut? Schön, das ist wenigstens weniger absurd als die Zehn-Tage-Regel (der Markt schließt ein Jahr in der Richtung ab, in die die ersten zehn Tage weisen) oder die Superbowl-Regel (der Aktienmarkt beendet das Jahr im Plus, wenn ein Team aus der NFC den Superbowl gewinnt. Gewinnt ein Team der AFC, wird es ein Verlustjahr), wo man ja auch dauernd mit Statistiken herum hampelt. Aber eben nur weniger absurd und nicht „schlau“. Aber!

Schauen wir uns mal die folgende Grafik an, die die Dezember-Performance des Dow Jones seit 2011 zeigt. Den Dow gibt es ja schon ein Weilchen, genauer gesagt seit 1896. Und wenn man die Monatsperformances aller Jahre in den Mixer wirft, kommt der Dezember als stärkster Monat mit einer Durchschnitts-Performance von 1,33 Prozent heraus. Und dass der Dezember gut ist, bestätigte sich seit 2011 auffällig oft. Nur … warum?

Börse aktuell: Dezemberentwicklung Dow Jones seit 2011 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Dezemberentwicklung Dow Jones seit 2011 | Quelle: marketmaker pp4

Da ist zum einen der oft (aber halt nicht immer, 2022 zum Beispiel nicht) kurz vor der Jahreswende auftretende Hoffnungs-Faktor. Die Hoffnung, im neuen Jahr wird alles besser und man müsse da schon einmal vorkaufen. Wobei das natürlich vor allem dann zum Argument wird, wenn man ein unruhiges, von hoher Volatilität und einem schwierigen Umfeld geprägtes Jahr hinter sich hat. Was man für 2023 allemal unterschreiben kann.

Und da ist zum anderen der Faktor der „self fulfilling prophecy“. Wenn genug Anleger an dieses Phänomen glauben, müssen sie nicht an dessen Argumentation glauben. Sie müssen nur glauben, dass genug andere daran glauben und kaufen werden. Und genau deswegen ebenfalls kaufen. Was ein wenig schräg wirkt. Aber erleben wir das am Aktienmarkt nicht dauernd, z.B. wenn eine Aktie in einen höheren Index aufsteigen könnte? Da wird ja auch auf den Verdacht hin gekauft, dass die anderen auf Verdacht kaufen werden.

Gut, wenn die Aktie dann aufgestiegen ist, geht es mit dem Kurs deswegen dann sehr oft abwärts. Und das könnte auch dem Dow Jones so ergehen, falls der Dezember stark wird, weil es momentan nicht wirklich viel zu hoffen gibt, was die Unternehmensgewinne im kommenden Jahr angeht und der Zugpferd-Effekt der „self fulfilling prophecy“ ja endet, wenn sie sich erfüllt hat. Aber es geht ja zunächst nur um den Dezember.

Aber das ist meiner Ansicht nach der eigentliche Punkt, wenn es um Statistiken geht: Sie sind eine Melange aus zahllosen ganz unterschiedlichen Entwicklungen. Was am Ende herauskommt, ist dieser bereits benannte Brei, der bestenfalls eine Tendenz hergibt. Und diese Tendenz wird nur dann wirken, wenn a) genug Anleger von ihr wissen und b) nicht nur daran glauben, sondern auch aktiv werden. Denn wenn alle dasitzen und hoffen/erwarten, dass die anderen kaufen oder verkaufen, passiert eben nichts. Das gilt auch für die gerade so fleißig herumgereichte Jahresendrallye.

Börse aktuell: Dax-Entwicklung: Einem schwachen Jahresstart folgt ein starker März | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Dax-Entwicklung: Einem schwachen Jahresstart folgt ein starker März | Quelle: marketmaker pp4

Börse aktuell: Folgen oder ignorieren?

Hier stellt sich ja gerade nicht mal wirklich die Frage, ob sie kommt. Wenn man sich die Indizes und deren Run in den vergangenen drei Wochen so ansieht, darf man behaupten: Eigentlich ist die Sache ja schon passiert. Gut, die Rallye war da, das Jahresende liegt noch ein gutes Stück entfernt. Aber wenn da noch mehr kommen soll, müssen eben genug Trader auch daran glauben, dass man, wenn man jetzt noch einsteigt, einen guten Schnitt machen würde. Ob das so sein wird … ich für meinen Teil wage mich da ganz sicher nicht auf das dünne Eis der Weissagungen.

Folgen oder ignorieren, was fängt man nun mit solchen Daten an? Ich meine: Man sollte sie kennen. Man sollte wissen, dass sie wirken können, wenn genug Akteure daran glauben. Aber man sollte besser den Kursen an sich folgen und nicht einem vagen Brei aus früheren Daten. Denn auch, wenn man 100 Jahre in einen Sack packt, gilt:

Was mal war, hat an der Börse keine Prognosekraft. Machen Sie lieber ihre eigenen Beobachtungen, etwa in der Art wie die meine, dass der März in einem zuvor sehr bärischen Umfeld auffallend oft der Monat ist, an dem die Kurse nach oben drehen. Aber lassen Sie sich nicht von Zahlen aus der Vergangenheit, sondern von chart- und markttechnischen Signalen leiten. Es kommt darauf an, was gerade wirklich passiert und nicht darauf, was eigentlich, wenn man der Statistik folgt, passieren sollte!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Warum stehen die meisten Aktienindizes an der Börse aktuell, in einem Umfeld, das doch eigentlich kaum ungünstiger für steigende Aktienkurse sein könnte, immer noch so nahe an ihren Rekordhochs? Nüchtern betrachtet ist das nicht nachvollziehbar. Aber in diesem Satz verbirgt sich schon ein Teil der Antwort. Vier Gründe, warum es so oft anders kommt, als man denkt.

Ich kenne jemanden – Akademiker in einer Unternehmen beratenden Funktion – der mit sechsstelligen Beträgen am Aktienmarkt herumhantiert, immer nur seine „Lieblingsaktien“ handelt, mich zwar ab und an nach meiner Meinung fragt, aber jedes Mal sofort abwinkt, wenn ich von Bilanzen, der Gesamtwirtschaft oder vor allem von dem spreche, was er „diese Linien“ nennt. Dass das bislang gutging, bestärkt ihn darin, weiterzumachen, weil er ja auch immer „unten“ kauft und „oben“ verkauft … dafür hat er mittlerweile ein Gefühl. Sagt er. Entgegne ich, dass man damit seit 2020 vor allem Glück hatte und das daran liegt, dass sehr bzw. zu viele es ganz genauso machen, sehe ich: Schon wieder auf Durchzug geschaltet. Schön. Soll er machen. Warum ich das erwähne?

Weil es der Schlüssel zur Antwort ist. Zur Antwort auf die Frage, wieso die Kurse so oft ganz woanders stehen, als man es rein vom Verstand her erwarten sollte. Die Antwort lautet nämlich: Sie stehen, wo sie stehen, weil sehr wenige den Verstand und Fachwissen als Werkzeuge des Handels nutzen. Nicht, weil sie es grundsätzlich nicht könnten. Sie wollen nicht. Weil es ja, scheinbar, auch so geht. Und warum sind sie sich dessen sicher?

Börse aktuell: China der Wachstumsmotor 2023 - Entwicklung wichtiger Indizes im Jahr 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
China der Wachstumsmotor 2023 – Entwicklung wichtiger Indizes im Jahr 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Weil sie 2008 noch nicht dabei waren. Oder 2000. Oder 1998, 1987, 1929, 1907, 1897 …. Gut, Sie ahnen es: Auch ich war 1929 und bei den vorherigen Kursrutsch-Phasen nicht dabei. Aber zum einen kann ich lesen und bin bereit, das auch zum Erwerb von Wissen zu tun. Zweitens habe ich 1987 als BWL-Student es sehr plastisch miterlebt, weil ein Kommilitone eine (ja, eine) Siemens-Aktie hatte und ich sein Jammern und Wehklagen tagelang ertragen musste. Beim Rest war ich live dabei. Das hilft, zu verstehen. Wer diese Erfahrung aber nicht hat, muss sie sich erlesen. Und da geht es dann los. Vier Gründe, wieso die Kurse meist wenig bis gar nicht mit der Faktenlage zusammengehen:

1. Das Ignorieren der Realität

Wie ist es möglich, dass Menschen, die ja unstrittig zu rationalem Denken fähig sein müssten, sich zu Tode rauchen/trinken/essen, sehenden Auges in den Ruin konsumieren, ihre Familie zerbrechen lassen oder sich um einen eigentlich sicheren Job bringen? Wer seinen Verstand gebraucht, schüttelt den Kopf … aber meist nur bedingt zu Recht. Denn überlegen wir mal: Gibt es denn nicht bei wohl jedem von uns einen Bereich, den man unbedingt angehen müsste, aber einfach daran vorbeischaut?

Bei mir war es das Rauchen. Und von Anfang an habe ich sehen können, dass das bei mir besonders übel wirkt. Oder besser: Hätte ich sehnen müssen. In der Retrospektive ist es mit gelungen, dieses Problem einfach, mit der Kippe in der Hand wohlgemerkt, auszublenden. Dass das am Ende (vermutlich) nicht fatal schiefging, ist dabei nur Glück, aber keine Rechtfertigung. Wenn man sich dessen erst einmal bewusst wird und man versteht, dass man selbst nicht irgendein Einzelstück der Gattung Mensch ist, sondern wir alle solche Eigenschaften in uns haben, versteht man: Irgendein Ventil, bei dem man „es schleifen lässt“, haben wir wohl alle. Und wenn ich mit meinen Beobachtungen nicht völlig daneben liege, haben immer mehr gleich mehrere dieser Bereiche, in denen eine unerwünschte Realität durch das Ignorieren oder Umdichten der Fakten einfach verschwindet.

Und wenn das für die eigene Gesundheit, für die eigene Familie, die eigene Existenzgrundlage in Form des Jobs gilt: Warum in aller Welt sollte das in Bezug auf das eigene Geld und damit in Bezug auf die Börse anders sein? Vor allem … und das gilt ja auch wieder für all die vorgenannten Aspekte … so lange es gutgeht?

Börse aktuell: Entwicklung der Sparquote in den USA von 1980 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Sparquote in den USA von 1980 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Wenn ich also Charts sehe wie die, die ich hier begleitend eingestreut habe, dann kann ich die zur Kenntnis nehmen. Aber wenn ich die Notwendigkeit, mir das nötige Grundwissen anzueignen, bevor ich mich ins Getümmel stürze, schon ignoriert habe (genauso, wie kaum jemand erst ein Fahrsicherheitstraining macht und sich erst danach nach 30 Jahren Pause aufs Motorrad setzt), was dann? Dann erkenne ich ja nicht einmal die Gefahren die ich, würde ich sie sehen, ignorieren müsste, weil sie meinem à la Hausse vollgepackten Depot und damit meinen Wünschen von viel Gewinn ohne Arbeit zuwiderlaufen!

Was heißt: Viele wissen nicht wirklich, was sie tun, wenn es um die Börse geht, tun es aber trotzdem, weil es a) doch bislang gutging und b) weil sie durch dieses „Gutgehen“ auch leicht ausblenden können, dass sie leichtsinnig agieren.

2. Der Schafherdeneffekt

Dabei kann man dann auch behaupten, dass nicht derjenige, der von Tuten und Blasen keinen Schimmer hat, falsch liegt, sondern derjenige, die alles versteht, dann aber nicht versteht, warum der Markt nicht tut, was er sollte. Denn damit macht man den größeren Fehler: Indem ich glaube, dass, was ich weiß und verstehe, auch die anderen wissen und verstehen und dementsprechend handeln müssten.

Es gab in der „Steinzeit“ der Börsenpsychologie mal den Begriff des homo oeconomicus, der genau das wäre: Jemand, der alles weiß, was man in Sachen Börse wissen müsste, d.h. Fachwissen und Nachrichten, und all das objektiv und konsequent in Entscheidungen umsetzt. Als man merkte, dass das wohl irgendwie an der Realität vorbeigeht, kamen einige an und meinten, dann wäre wohl die Chaostheorie richtig, wenn es darum geht zu erklären, warum die Kurse sich oft so komisch verhalten. Beides ist Unfug.

Wer versteht, dass zwischen den Fakten und den Kursen ein Filter namens „Mensch“ sitzt und zudem weiß, wie Menschen „funktionieren“ … nämlich meist emotional und nicht rational … muss nicht lange grübeln um zu verstehen, dass selten etwas an der Börse so ist, wie es – objektiv gedacht – sein sollte. Da passt besser der wirklich uralte Spruch, der im 19. Jahrhundert ganz genauso zutraf wie heute: Die Börse ist ein Tollhaus. Und ja, sie wird auch immer eines sein, denn die Lage mag sich ändern. Aber die Menschen ändern sich nicht.

Börse aktuell: Entwicklung der Mercedes Benz Aktie von September 2022 bis November 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Mercedes Benz Aktie von September 2022 bis November 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Hinzu kommt der gute alte Herdeneffekt, der vor allem dann schon fast eine „Bank“ ist, wenn die Sache kompliziert wird. Da viele ernstlich eine Sicht aufs Leben haben, die aus ihnen selbst auf der einen und „alle anderen“ auf der anderen Seite besteht, verstehen sie oft nicht, dass all die anderen genauso denken und handeln könnten wie sie selbst. Das wiederum führt dazu, dass sie unterstellen, dass „die anderen“ natürlich wissen, was sie tun, wenn sie beispielsweise einen Index immer höher kaufen. Auf den Gedanken, dass verblüffend viele genau dasselbe denken und so eine Schafherde aus Ahnungslosen einen Markt, getrieben durch „das läuft ja super“ (man kann es auch „blanke Gier“ nennen) immer höher kauft, kommen sie daher gar nicht. Dass der Markt dann Kapriolen zeigt, die dem nüchtern denkenden Investor mit Fachwissen völlig irre vorkommen, ist dann kein Wunder mehr.

Aber nur, wenn sich dieser nüchtern denkende Investor auch bewusst ist, dass andere nicht nüchtern denken und handeln müssen, nur, weil man selbst es tut, landet er nicht – unter stetigem Kopfschütteln – auf der Nase. Wer den Fehler begeht, auf den Sieg der Fakten zu bestehen und sich damit dann gegen eine Stampede aus Ahnungslosen stellt, werden sie ihn einfach niedertrampeln.

3. Der ETF-Faktor

Aber was ist denn mit den ganzen erfahrenen Entscheidungsträgern bei den sogenannten „großen Adressen“? Die könnten, ja müssten doch entscheidend dafür sorgen, dass der Markt zumindest einigermaßen entlang der Realität unterwegs ist?

Nein. ETFs gewinnen immer mehr an Marktanteil unter den sogenannten „passiven Investments“, in die diejenigen ihr Erspartes investieren, die zumindest erkennen, dass ein ständiges „aus dem Bauch heraus“ eher über kurz als über lang fatal endet. Damit treffen sie eine grundsätzlich kluge Entscheidung, aber die Sache hat eine Achillesferse:

Da ETFs den Index, die Branche etc., die sie widerspiegeln, genau nachbilden, haben sie keinen Entscheidungsspielraum. Da sitzt keiner und kann entscheiden, nur die Hälfte des Kapitals des ETFs aktiv anzulegen und den Rest lieber als Cash zu halten, weil die Lage gerade brenzlig wird. Weil ein ETF seine Basis genau abbildet, hat er keine Barreserve. Wenn frisches Geld hereinkommt, muss das sofort angelegt werden. Was bedeutet, dass man als Anleger über einen ETF zwar grundsätzlich passiv investiert, indem man den ETF die Arbeit machen lässt, aber die Kurse letztlich doch wieder mit seinem Geld aktiv nach oben oder unten treibt.

Klar, ein einzelner richtet da nichts aus. Aber wenn wir mal überlegen, dass der derzeit größte ETF auf den S&P 500 58 Milliarden US-Dollar umfasst, die größten fünf S&P 500 ETFs zusammen um die 120 Milliarden, versteht man: Da greift er wieder, der „Schafherden-Effekt“. Und da Schafherden nicht nur fröhlich dem folgen, der scheinbar weiß, wo das beste Gras zu finden ist, sondern auch dem Schaf, das suggeriert, dass man jetzt panisch fliehen müsste und weiß, wo der Ausgang ist, wirkt dieser Herdeneffekt auch in die Gegenrichtung, wenn die Stimmung kippt. Und auch da kann gelten: Das muss dann nicht der Realität entsprechen, denn keines der Schafe weiß ja, was wirklich Sache ist!

Börse aktuell: Entwicklung S&P 500 im Vergleich zum Einkaufsmanager Index von 1998 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung S&P 500 im Vergleich zum Einkaufsmanager Index von 1998 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

4. Vorsicht, Computer sind doof

Aber da wären dann doch noch die ganzen großen Hedgefonds oder die Banken im Eigenhandel … wenigstens die sind ja eine Art ruhender Pol, eine Trutzburg des Wissens und der Erfahrung … oder?

Genau: oder. Mittlerweile nutzt das Gros der großen Adressen computergesteuerte Handelsprogramme für seine Transaktionen. Einfach, weil Geschwindigkeit immer wichtiger wird und die Menge des Geldes einerseits und die Komplexität der Positionen andererseits humanoide Trader einfach als zu langsam und zu fehleranfällig erscheinen lassen. Und schon landen wir wieder in der Zone scheinbaren Irrsinns. Denn diese Systeme handeln zwar schnell und nach klaren Vorgaben. Aber solche Programme können ja keine fundamentalen Erwägungen und Ableitungen des Hier und Jetzt auf ein zukünftiges Szenario vornehmen. Nicht nur, weil das die Systeme überfordern würde, sondern weil, wer solche Systeme ersinnt, sehr wohl weiß, dass das Humbug wäre, eben weil zwischen Fakten und Kursen der unberechenbare, emotionale Mensch steht und damit die Ebene der Daten und Fakten als Basis eines Handelsprogramms nicht funktionieren würde.

Also basieren die Systeme auf den Kursen selbst als Entscheidungsgrundlage, auf chart- und markttechnischen Faktoren, manchmal mit einem Schuss „Sentiment“ dabei. Das heißt: Auch hier haben wir eine Schafherde, nur eben in Form von Handelsprogrammen, die einfach einem Trend folgen und ihn dadurch verstärken, egal, ob der nüchtern betrachtet bekloppt ist oder nicht. Und am Ende kommt was heraus?

Börse aktuell: Kursbewegungen ohne Fakten am Beispiel des Chart von Energiekontor | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Kursbewegungen ohne Fakten am Beispiel des Chart von Energiekontor | Quelle: marketmaker pp4

Die Börse ist ein Tollhaus? Schon, aber auch da kann es lustig zugehen!

Das, was wir immer öfter sehen. Extreme Kursbewegungen ohne erkennbaren Anlass. Trends, die intensiv und lange in die, wollte man die Vernunft als Wegweiser nehmen, falsche Richtung weisen. Gegenläufige Tendenzen, die nicht gegenläufig sein sollten und Bewegungen, bei denen Fachkundige ausrufen: „Aber das hätte man doch viel früher sehen müssen“. Hätte man, kann man aber nicht, wenn man nicht hinschaut oder, wenn man denn hinschaut, nicht versteht, was man sieht. Fazit: Es stimmt nun einmal, die Börse ist ein Tollhaus. Was indes nicht dazu führen sollte, dass man sich entsetzt und/oder furchtsam abwendet.

Denn entscheidend ist nicht, dass alle tun, was sie müssten, wären sie ein „homo oeconomicus“. Entscheidend ist, dass diejenigen, die die Sache im Griff behalten wollen, wissen, dass die meisten anderen einfach blind herumhantieren. Wer weiß, dass er auf einer Rennstrecke so ziemlich der einzige ist, der wirklich fahren kann, ist auf der Hut … und ist man das, kann man ein solches Rennen gewinnen, statt zu Klump gefahren zu werden!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Der Oktober hat die Hoffnung, dass die Statistik die Aktienmärkte schon wieder nach oben ziehen werde, zwar enttäuscht. Aber der November ist langfristig auch stärker, nach dem März der statistisch zweitbeste Börsenmonat. Ist die Rallye der vergangenen Woche also die Basis einer größeren Aufwärtsbewegung? Sehen wir uns die Lage aus Sicht der „internen“ Indikatoren an!

Was steckt hinter einer starken Bewegung an der Börse? Wer kauft oder verkauft da … und warum? Geht die Bewegung weiter, endet sie in einer Seitwärtsbewegung oder geht es womöglich abrupt in die Gegenrichtung? Wüsste man all das, könnte man an der Börse in kürzester Zeit reich werden. Das Dumme ist: Man weiß es eben nicht.

Denn die Rahmenbedingungen unterliegen einem stetigen Wandel. Und diese Einflüsse und ihre Veränderung werden von den unzähligen kleinen und großen Investoren rund um den Globus, die alle in dem für einen selbst interessanten Markt handeln könnten (ob sie es wirklich tun oder nicht, weiß man aber nie), durchweg individuell, sprich subjektiv und oft emotional interpretiert. Knifflig.

Lichter im Nebel … manchmal sind es Irrlichter

Wer das versteht, agiert vorsichtig, so, wie man es in diesem Nebel, der angesichts dieser Problematik die kommende Tendenz der Märkte umgibt, auch tun sollte. Man tastet sich voran, sucht nach einzelnen Anhaltspunkten und versucht, so viele Tools wie möglich zu nutzen. Denn wer sich da nur auf ein „Werkzeug“ stützt, wie auch immer das geartet wäre, läuft Gefahr, einem Irrlicht zu folgen. Daher haben gute Handelssysteme nie nur eine einzige Indikation, die die Signale liefert, sondern basieren auf einer überschaubaren Zahl oft ganz unterschiedlicher Impulsgeber, die nur in ihrer Gesamtheit gesehen ein Handelssignal generieren.

Wer so vorgeht, sollte daher nicht nur alleine mit der Charttechnik, der Markttechnik, dem Sentiment oder gar aus dem Bauch heraus agieren, sondern an Eindrücken zusammentragen, was zu bekommen ist. Dazu gehören auch Informationen, die Tendenzen hinter den reinen Kursen zu beleuchten versuchen. In etwa alle drei Monate gehe ich diese von mir „interne Indikatoren“ genannten Tools durch und zeige, was mir berichtenswert erscheint.

Favorisierte Märkte: Die Eurozone-Schere schließt sich

Ich hatte seit Anfang des Jahres auf die auffällig divergente Entwicklung der Eurozone-Indizes gegenüber den eigentlich als Vorlagengeber so zuverlässigen US-Indizes berichtet. Der Hintergrund war, dass US-Fonds die Eurozone ab Herbst 2022 massiv überzugewichten begannen. Einerseits mit dem (nicht stichhaltigen) Argument, diese Indizes seien gegenüber Dow, S&P 500 und Nasdaq unterbewertet. Andererseits in der (auch nicht stichhaltigen) Erwartung, dass die wirtschaftlich schwächere Positionierung der Eurozone dazu führen würde, dass die EZB den Leitzins weniger schnell und weit anheben, schneller wieder senken und Europa dadurch um ein Rezessionsproblem herumkommen würde – im Gegensatz zu den USA. Heute wissen wir: So lief es nicht.

Börse aktuell: Entwicklung europäischer und US-Indizes im Vergleich von Oktober 2022 bis November 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung europäischer und US-Indizes im Vergleich von Oktober 2022 bis November 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Auch, wenn man angesichts der Ende Oktober verkündeten, extrem starken Wachstumsrate des US-Bruttoinlandsprodukts so viele Augenbrauchen hochziehen kann, wie man will: Bislang zeigen sich die USA robuster, die EZB nicht nachgiebiger, Europa nicht stabil. Dementsprechend erfolgt jetzt der „Rückbau“ dieser Outperformance, die, gemessen ab 30.9.2022, im Mai mit 18 Prozent (+34 Prozent beim DAX und nur +16 Prozent beim Dow Jones) ihren Höhepunkt erreichte. Am Freitag betrug die „Schere“ zwischen den beiden Flaggschiff-Indizes nur noch etwa 6,7 Prozent … Tendenz abnehmend.

Das ist, da die derzeitigen Rahmenbedingungen das Schließen der Schere unterfüttern, eine Tendenz, die weitergehen kann. Ich würde mich nicht einmal wundern, wenn Dow Jones und S&P 500 (der Nasdaq 100 sowieso, der längst alle anderen hinter sich gelassen hat) in den nächsten Monaten den Spieß umkehren und an DAX und Euro Stoxx 50 vorbeiziehen. Für die grundsätzliche Ausrichtung von Index-Trades ist das eine interessante und wichtige Entwicklung, denn daraus könnte man ableiten: Wenn Long, dann bei den US-Indizes, wenn Short, dann eher in der Eurozone.

Die Zocker bleiben vorsichtig … das sollte man selbst dann auch besser sein

Normalerweise zeigen Auf- und Abwärtstrends am Aktienmarkt immer eine Entsprechung beim Volumen der Kredite, die große Spieler am Markt aufnehmen, um damit die Sicherheitsleistungen (Margins) für Derivate-Trades zu finanzieren. Da man dort tendenziell eher die Long-Seite auf Pump finanziert, sehen wir über die letzten Jahrzehnte diesen Gleichlauf des Margin-Debit-Volumens und des Aktienmarkts, wie ihn der folgende Chart zeigt.

Börse aktuell: Entwicklung Börsenkredite in den USA und S&P 500 im Vergleich von 1999 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung Börsenkredite in den USA und S&P 500 im Vergleich von 1999 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Dass die Abwärtsbewegung des S&P 500 also von einer deutlichen Abnahme der Margin-Kredite begleitet wurde, war zu erwarten. Aber dass die Rallye, die im Herbst 2022 einsetzte und den Markt fast wieder an die alten Rekordlevels zog, nur eine geringe Zunahme bei den Margin-Debits nach sich zog, wundert schon und mahnt zur Vorsicht. Klar, durch die massiv gestiegenen Kreditkosten werden Margin-Kredite einfach viel teurer, so dass man einfach mehr aus solchen Trades herausholen muss, damit sich das rechnet … und das Risiko, dass man damit Schiffbruch erleidet, steigt. Aber wann hätten sich die großen Zocker davon abhalten lassen?

Dass diese Klientel, die einerseits extrem riskant agiert, andererseits aber mehrheitlich zu den erfahrensten, sachkundigsten Marktteilnehmern überhaupt zählt trotzdem vorsichtig agiert (ist man es nicht, ist man da schnell weg vom Fenster), sollte klar machen: Das Umfeld ist offenbar in einem Maß riskant, dass es diesen alten Hasen nicht opportun erscheint, hier mit vollen Segeln zu fahren. Auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Nicht selten findet man erst hinter dem „Vorhang des Offensichtlichen“ Hinweise darauf, ob es unter dem Teppich gärt oder nicht.

Die Anleihe-Renditen muss man im Auge behalten

Starke Zahlen zum US-Wachstum im dritten Quartal (und miese in der Eurozone), aber in beiden Regionen rückläufige Inflationsdaten (wenngleich stark durch den statistischen Basiseffekt gedrückt) und am Freitag dann auch noch US-Arbeitsmarktdaten, die die US-Notenbank beruhigen dürften, die kurz zuvor den Leitzins stabil gehalten hatte:

Das waren Tage, in denen die Chance, dass die Leitzinsen ihr Hoch erreicht haben, deutlich stieg. Daraufhin fielen die Renditen der Staatsanleihen, hier im Chart die der US-Staatsanleihen mit Laufzeit zehn Jahre, die Aktien sausten nach oben. Grund: Viele sehen das Erreichen des Zinshochs als Wendepunkt zurück zu einem haussierenden Aktienmarkt an. Was es aber tendenziell nicht ist.

Börse aktuell: Entwicklung der Rendite von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit von 2018 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Rendite von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit von 2018 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Erstens, weil das Erreichen des Zinshochs den Konsum ausbremst. Die Verbraucher wissen: Jetzt sind Kredite am teuersten, warum nicht also überall da, wo es möglich ist, warten, bis es billiger wird? Das Wachstum wird erst befeuert, wenn die Leitzinsen nahe an einen Punkt gesunken sind, an dem man unterstellt, dass es vorerst nicht wieder billiger wird, wenn man einen Kredit aufnehmen will. In einem Umfeld, in dem im historischen Vergleich bei Verbrauchern und Unternehmen so hohe Schulden sitzen wie nie zuvor, das Wachstum also sehr vom Kreditaufkommen abhängt, ist diese Entwicklung also nicht bullisch.

Zweitens, weil ein Zinshoch den Beginn der Phase beschreibt, in der Anleihen optimal hohe Zinsen bringen und bei sinkenden Leitzinsen dann auch noch Kursgewinne winken. Erst mit Erreichen des Zinshochs werden Anleihen eine echte Konkurrenz für Aktien. Fällt das Zinsniveau dann sogar, erst recht. Und dass die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen im Umfeld der vorgenannten Nachrichten fast einen halben Prozentpunkt fiel, bedeutete: Die Kurse sind gestiegen, es floss also Geld in diese Bonds hinein … Geld, dass dann dem Aktienmarkt fehlt.

Kurzfristig kann der Aktienmarkt allemal noch diesem Glauben folgen, dass die die Füße stillhaltenden Notenbanken auf hohem Leitzinsniveau für ihn positiv wären. Aber mittelfristig dürfte vielen aufgehen: Da ist eher das Gegenteil richtig.

Auf die Entwicklung der „New Lows“ sollte man ein Auge haben

Der US-Aktienmarkt hat in der vergangenen Woche eine immense Rallye aufs Parkett gelegt. Die Zahl neuer 52-Wochen-Tiefs an der New York Stock Exchange, der NYSE, die bis auf nur an der Nasdaq gelistete Aktien alles Wichtige dieses Markts umfasst, fiel folgerichtig deutlich von 369 am Freitag zuvor auf 81 an diesem Freitag. Aber das ist normal, schließlich pflegen Leerverkäufer ihre Short-Positionen bei den am stärksten gefallenen Titeln am ehesten einzudecken, wenn der Gesamtmarkt zulegt, was die Kurse dann höher zieht. Interessanter ist an diesem Chart etwas anderes:

Börse aktuell: Entwicklung der Anzahl neuer 52-Wochen-Tiefs an der NYSE von 2014 bis 2023  Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Entwicklung der Anzahl neuer 52-Wochen-Tiefs an der NYSE von 2014 bis 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Dafür, dass der US-Aktienmarkt zuvor drei Monate lang und ziemlich markant gefallen ist, lag dieses letzte Hoch neuer 52-Wochen-Tiefs mit 369 Aktien ziemlich niedrig. Es lag noch deutlich unter selbst dem niedrigsten Zwischenhoch der ersten drei Quartale 2022, als der US-Aktienmarkt ebenfalls übergeordnet abwärts tendierte. Mit 369 neuen 52-Wochen-Tiefs haben wir da ein Zwischenhoch markiert, das nicht den Eindruck eines “finalen Abverkaufs“ am Aktienmarkt erweckt, denn für einen richtigen Selloff, in dem die Kapitulation der Bullen den Nährboden für eine große, mittelfristig relevante Aufwärtswende bieten würde, hätten mehr Aktien solche Tiefs erreichen müssen. Das ist keineswegs ein zwingender Faktor, um sicher sein zu dürfen, dass der US-Aktienmarkt weitere, neue Tiefs ausloten wird. Aber es ist ein Indiz. Man sollte es nicht überbewerten … aber besser auch nicht ignorieren.

Wenn extreme Kursbewegungen kein Einzelfall mehr sind

Mir fällt in den letzten Wochen auf, dass die Reaktionen auf Quartalszahlen oder Prognose-Anpassungen extremer ausfallen als üblich. Und das in beide Richtungen. Es wirkt, als würde eine wachsende Zahl an Akteuren kein Maß mehr kennen. Oder, was noch brenzliger wäre: Die Handelsprogramme, die ohne das einem Trader mögliche Fingerspitzengefühl Positionen mit der Brechstange kaufen oder verkaufen, gewinnen weiter an Umsatzanteil.

Börse aktuell: Anzeichen für Zocker in der Kursbewegung der Evotec Aktie im Jahr 2023 Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Anzeichen für Zocker in der Kursbewegung der Evotec Aktie im Jahr 2023 Quelle: marketmaker pp4

Aber ob menschliche Marktteilnehmer oder „Maschinen“ an dieser Zunahme extremer Kursbewegungen schuld sind, die auch immer öfter ohne jeden Anlass auftauchen wie im Fall dieser beiden Beispiele Evotec und VERBIO, ist gar nicht entscheidend. Wichtig ist: Der Markt wird dadurch „eckiger“, ruppiger. Und das kann leicht dazu führen, dass Kauf- oder Verkaufslawinen auftreten, die so stark sind, dass sie viele „normale“ Trader überrumpeln und die sich zu hektischen, unüberlegten Aktionen hinreißen lassen, indem sie einem starken Impuls blind folgen, ohne absehen zu können, was da eigentlich los ist.

Börse aktuell: Anzeichen für Zocker in der Kursbewegung der Verbio Aktie im Jahr 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Anzeichen für Zocker in der Kursbewegung der Verbio Aktie im Jahr 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Fazit: Die Risiken nehmen zu … in beide Richtungen

Als Gesamteindruck bleibt für mich, dass zwei Aspekte derzeit stärker das Geschehen bestimmen als üblich. Zum einen, dass die Komplexität der Gesamtsituation die große Mehrheit derer, die Geld am Aktienmarkt investiert haben, aber nicht über das nötige Grundwissen verfügen, dazu verleitet, „einfachen Wahrheiten“ zu folgen, z.B., dass nicht weiter steigende Leitzinsen bullisch sind. Da das Geld der Mehrheit den Trend bestimmt, kann so etwas lange gutgehen, aber es kann auch abrupt vorbei sein mit einer Hausse, die nur auf heißer Luft schwebt.

Zum anderen sind die abrupteren, schnelleren Kursausschläge auffällig, die bislang nur selten den Gesamtmarkt erfassen, aber Einzelwerte umso mehr. Es kann zwar gut sein, dass sich das nicht auf die Index-Ebene ausbreiten wird, aber man sollte es im Auge behalten. Ob man nun Long- oder Short-Positionen hält, das Fazit dieses Roundups lautet: Agieren Sie unbedingt vorsichtiger, denn immer mehr tun genau das gerade offenbar nicht … und das birgt das Risiko von Überraschungen aller Art!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt

Dass mehrere große Aktienindizes mittlerweile bärisch sind, ist kaum zu übersehen. Auch nicht, dass nicht allzu viel fehlt, um längerfristig relevante, negative Signale auszulösen. Aber es geht geordnet und langsam abwärts, das dämpft die Nervosität bei vielen. Doch genau darin liegt ein Risiko an der Börse aktuell.

Es ist irgendwie ein schleichender, unaufgeregter Prozess. Aus großen Erwartungen wurde mit der Zeit eine gewisse Ernüchterung, ein Hinnehmen des Umstands, dass es nicht ganz so läuft wie gedacht. Das wiederum mutierte unmerklich zu einem meist aber eher gelinden Pessimismus beim Blick nach vorne. Dieser Wandel geht langsam und dadurch fast unbewusst vor sich.

Nicht wenige scheinen sich nicht einmal mehr zu wundern (oder es zu bemerken), dass man mittlerweile nicht enttäuscht darüber ist, dass es kaum noch positive Überraschungen bei Bilanzen gibt, sondern froh, wenn es keine negativen wurden. Und dieser geordnet wirkende Rückzug des Optimismus hat seine Entsprechung im Chartbild vieler Indizes, z.B. in dem des europäischen Leitindex Euro Stoxx 50:

Börse aktuell: Heftiger aber langsamer Kursrückgang des Euro Stoxx 50 seit Juli 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Heftiger aber langsamer Kursrückgang des Euro Stoxx 50 seit Juli 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Ja, der Index hat ein Topp vollendet. Und ja, er hatte die Ende Juli etablierte, mittelfristige Abwärtstrendlinie vor zwei Wochen bestätigt, indem er genau dort nach unten abgewiesen wurde. Was mit einem Abwärtsschwenk am unteren Ende der vorherigen, monatelangen Seitwärts-Range einherging. Aber er brach deswegen nicht haltlos weg, sondern fiel in eher moderatem Tempo. Mehr eine Art „Rückbau“ der Kurse als ein Abverkauf, immer wieder unterbrochen von Gegenreaktionen nach oben. Das hilft, die Ruhe zu bewahren. Und die Ruhe zu bewahren ist ja an der Börse auch immer geboten. Aber!

Derzeit sind noch zu viele Marktteilnehmer im „Schlafmodus“

Gerade dieses „gemütliche“ am laufenden Kursabstieg birgt das Risiko, dass sich das jederzeit ändern und aus einem geordneten ein hektischer bis womöglich panischer Rückzug wird. Was nicht kommen muss, das muss man klar betonen. Aber es ist wichtig zu wissen, dass möglich wäre, womit kaum jemand rechnet … gerade weil so viele das nicht auf dem Zettel haben. Nur, wer auf alles gefasst ist, reagiert schnell und richtig, wenn man dann mal wieder den alten, heimlichen Leitspruch der Börsen aus der Mottenkiste ziehen müsste: Unverhofft kommt oft.

Börse aktuell: Hektische Reaktion der Aktie auf die Veröffentlichung nicht dramatischer Quartalszahlen von Mercedes im Oktober 2023 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Hektische Reaktion der Aktie auf die Veröffentlichung nicht dramatischer Quartalszahlen von Mercedes im Oktober 2023 | Quelle: marketmaker pp4

Der vorstehende Chart der überzogen hektischen Reaktion auf die Bilanz der Mercedes-Benz Group bestätigt meinen Eindruck, dass sehr viele aktuell felsenfest davon überzeugt sind, dass der Markt schon von alleine und recht bald wieder nach oben dreht und man deswegen keinen Grund hat, aufmerksam zu sein oder gar aktiv zu werden, indem man z.B. Positionen abstößt, deren Aufwärtstrend hinüber ist. Kurz: Da schlafen noch zu viele. Und wenn man jemanden abrupt aus tiefem Schlaf herausreißt, kann das, das wissen wir alle, gefährlich werden.

Das Risiko, dass eine Kursbewegung (das gilt grundsätzlich auch für Aufwärtsbewegungen) von einem moderaten Tempo auf einmal ins Extreme wechselt, liegt dabei selten in den Rahmenbedingungen. Natürlich kann es da immer zu Überraschungen und entsprechend schnellen und heftigen Reaktionen kommen. Das wissen wir aus den Erfahrungen der letzten drei, vier Jahre ja zu Genüge. Aber oft ist es das Kursgeschehen selbst, die dahinter stehende „Mechanik“ der Märkte, die die Sache aus dem Ruder laufen lässt.

Nach einem schnellen, weitreichenden Kursrutsch ist die Chance auf eine Aufwärtswende höher

Wir wissen ja: Es braucht nicht viel zu einer Rallye, die viele mit in den Sog zieht – wenn nur genug Trader nicht mit ihr rechnen. Dabei muss sich das Umfeld nicht ändern, es kann allemal reichen, wenn genug bärische Trader ihre leer verkauften Aktien zurückkaufen, weil sie sich nach einem ihnen ausreichend erscheinenden Kursabstieg den Gewinn sichern wollen. Da kann aus einem ruhig abwärts gleitenden Index auf einmal, zumindest für kurze Zeit, eine Rakete werden, auch und gerade, weil dann viele „wach“ werden und auf den Zug aufspringen. Dass dieser Zug nicht durch bessere Rahmenbedingungen in Gang gesetzt wurde, sondern bloß vom bärischen Lager, das Kasse macht, merken dabei die wenigsten.

Daher sehen wir nennenswerte Schwenks nach oben meist erst dann, wenn aus einem gemütlich und geordnet wirkenden Abstieg ein starker Abverkauf wurde, der auch markttechnisch eine überverkaufte Situation erzeugt. März und Oktober 2022, aber z.B. auch der März 2020 sind da gute Beispiele, hier erneut beispielhaft für den Gesamtmarkt des Euro Stoxx 50:

Börse aktuell: Rallyestart im Euro Stoxx 50 im Oktober 2022 | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Rallyestart im Euro Stoxx 50 im Oktober 2022 | Quelle: marketmaker pp4

Nur kann das mit der Beschleunigung der Abwärtsbewegung als Weckruf für eine zu gelassene Masse auch mal schiefgehen. Was uns zur vorgenannten „Mechanik“ der Märkte zurückbringt.

So ein „Weckruf“ kann auch mal richtig schiefgehen

Solange ein Trend wie dieser moderat läuft, liegt das Volumen der Kauf- und Verkaufsorders nicht allzu weit auseinander, nur deswegen wirkt der Abstieg so „geordnet“. Aber es kann jederzeit eine Situation eintreten, in der die Zahl der Kauforders kurzzeitig ungewöhnlich gering ist oder aber die Verkaufsorders anschwellen und auf der Gegenseite zu wenige die Hand aufhalten, um einem Abwärtstrend eine scheinbar aus dem Nichts kommende, deutlich höhere Dynamik zu verleihen.

Aber je länger es in gemütlichem Schaukeltempo abwärts geht, desto weniger Anleger rechnen erfahrungsgemäß damit. Daher reagieren sie hektisch, wenn der Stein auf einmal doch schneller abwärts rollt, neigen dann auch mal dazu, Verkaufsorders unlimitiert in den Markt zu geben und den Abstieg dadurch zu beschleunigen. Letztlich also dasselbe Phänomen, das eine „Short Covering“-Rallye durch eindeckende Bären zu einer Kursexplosion werden lässt … nur eben in die andere Richtung.

Dass ein solcher Wechsel von einem geordneten Rückzug zu einem hektischen Selloff auch ohne einen erkennbaren Auslöser in den Nachrichtentickern entstehen kann, steigert das Risiko dann sogar, statt es zu verringern. Denn das führt bei vielen dazu, dass sie fürchten, dass andere wissen, was sie selbst noch nicht einmal ahnen und deswegen so massiv aussteigen. Das wird umso wahrscheinlicher, je mehr Marktteilnehmer die Sache zu gelassen nehmen und unaufmerksam sind.

Börse aktuell: Dow Jones 1987 - Geordneter Rückzug endet im Crash | Quelle: marketmaker pp4 | Online Broker LYNX
Dow Jones 1987 – Geordneter Rückzug endet im Crash | Quelle: marketmaker pp4

Der Crash des Jahres 1987 ist ein Extremfall, keine Frage. Aber er ist eben ein Beleg dafür, dass die Kombination aus zu vielen zu gelassenen Marktteilnehmern und einer negativen Gesamtsituation jederzeit dazu führen kann, dass die Sache auch mal aus dem Ruder läuft, weil zu wenige darauf gefasst waren, dass aus einem kontrolliert wirkenden Abstieg ein haltloser Selloff werden könnte.

Das ist ein Risiko, das man kennen muss und definitiv keine Prophezeiung meinerseits. Es könnte noch Wochen und Monate eher gemütlich zugehen, es könnte sogar bis zu einer Aufwärtswende gemütlich bleiben. Und auch die Oberseite hat jederzeit eine Chance.

Aber man kann als Trader immer nur in den Spiegel, nie jedoch in die Köpfe der anderen schauen. Angenommen, es würden zu viele fest damit rechnen, dass die aktuell erst einmal verteidigte Unterstützungszone 3.981/4.035 Punkte beim Euro Stoxx 50 auch weiterhin hält, könnte schon deren Bruch, so undramatisch der im Prinzip wäre, das Gleichgewicht der Kräfte so verschieben, dass aus der gemütlichen Kaffeefahrt in den Kurskeller ein „Rollercoaster-Ride“ wird. Ich meine: Rechnen Sie an der Börse auch immer mit dem Unerwarteten, dann sind sie gerüstet, wenn es tatsächlich mal so kommt!

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!

Ihr

Ronald Gehrt