Syrien ist zum Schauplatz einer Art Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland geworden. Das Land ist in einem Bürgerkrieg mit zahlreichen Protagonisten gefangen, aus dem es derzeit weder durch politische Verhandlungen noch durch militärische Intervention ein Entkommen zu geben scheint. Kein Wunder, dass der Ölpreis immer weiter anzieht, könnte man denken. Aber so zwingend wäre das auf den ersten Blick gar nicht, denn:

Syrien spielt als Ölproduzent eigentlich gar keine Rolle mehr. Es gibt dort zwar recht große Ölreserven. Aber die Förderung, die zwischen 1990 und 2010 durchaus ansehnlich war, ist seit 2011 dramatisch gefallen. Für die weltweite Ölversorgung spielt Syrien nicht nur keine große Rolle mehr, es spielt überhaupt keine Rolle. Warum also wirkt sich die katastrophale Lage des Landes bzw. seiner Bevölkerung und das auf dem Rücken des Landes ausgetragene Kräftemessen der Supermächte so sehr auf den Ölpreis aus?

Die Antwort auf diese Frage lautet: Wegen seiner geographischen Lage. Ein Blick auf die Karte zeigt die Problematik auf:

Syrien – im Zentrum von Ölförderung und Machtgerangel

Syrien liegt im Zentrum geopolitisch kritischer und/oder für die Ölversorgung wichtiger Staaten. Sie sehen die Türkei, die im Norden an Syrien grenzt. Im Osten/Südosten liegt der Irak, östlich von diesem wiederum der Iran, den die USA neben Nordkorea derzeit ins Visier genommen haben. Westlich der Libanon und mit Israel wiederum das Land, das permanent von seinen Nachbarn bedrängt wird und aggressiv dagegenhält. Im Süden Jordanien, direkt südlich von Jordanien wiederum Saudi-Arabien.

Neben den in dieser Region nahezu permanenten politischen Spannungen, in die sich die USA ebenso wie Russland regelmäßig einmischen, haben wir damit immens wichtige Öl-Förderländer in unmittelbarer Reichweite:

Saudi-Arabien stand Ende 2017 auf Platz 3 der ölfördernden Länder, der Irak auf Platz 4, der Iran auf Platz 6. Diese drei Länder zusammen machten per Ende 2016 knapp ein Viertel der weltweiten Ölförderung aus. Die Sorge der Markteilnehmer ist daher aktuell, dass ein eskalierender Konflikt in Syrien nicht an den Landesgrenzen haltmachen würde, zumal der Iran sich ebenso wie Russland (Platz 1 der Förderländer) als Verbündeter der syrischen Regierung sieht, während die USA (Platz 3) zu Israel einerseits und Saudi-Arabien andererseits stehen. Käme es zu einer solchen Eskalation, hieße das:

Sorge vor einem Flächenbrand

Gefährdung großer Förderanlagen, Gefährdung der Transportwege im Mittelmeer und im Persischen Golf und möglicherweise gegenseitige Blockaden von Öllieferungen durch Russland und die USA. Das ist der Grund, weshalb die Marktteilnehmer bei den Preisen für Rohöl derzeit sogar nervöser reagieren als beim Einmarsch der USA in das große Ölförderland Irak im Jahr 2003. Es ist die Angst vor einer Kettenreaktion, die, wenn es wirklich dazu käme, nicht nur die Förderung und den Transport eines knappen Viertels der weltweiten Rohölmenge beeinträchtigen würde, sondern auch dafür sorgen kann, dass durch den dadurch ausgelösten Beginn einer neuen geopolitischen Eiszeit kein unmittelbarer Ausgleich durch ein Hochfahren der beiden Förder-Riesen Russland und USA erfolgen könnte. Nun stellt sich natürlich eine Frage:

Müsste sich die Lage nicht langsam beruhigen, wenn diese Eskalation ausbleibt? Genau da liegt die Crux, die sich diejenigen zunutze machen, die bei den verschiedenen Ölsorten auf weiter anziehende Notierungen spekulieren: Solange eine negative Entwicklung latent als mögliches Szenario fortbesteht, ist es weniger wahrscheinlich, dass die Masse der Marktteilnehmer die Gefahr als gebannt ansieht, als wenn dieses kritische Ereignis eintritt und dann schnell absehbar wird, ob und wie groß die Auswirkungen auf die Ölversorgung wirklich sind, wie das z.B. 2003 der Fall war. Und der Vorteil der Bullen ist zudem:

Da völlig unklar ist, ob und wann dieser Stellvertreterkrieg in Syrien eskaliert und wie groß die Auswirkungen dann de facto werden könnten, ließe sich im Vorfeld auch kein Kursniveau ausmachen, das man als „im Falle eines Falles“ angemessen ansehen könnte. Das bedeutet, dass wir momentan eine nüchtern betrachtet absurde Entwicklung sehen:

„Was-wäre-wenn“-Spekulationen sind hartnäckig

Der Ölpreis steigt, obwohl das Angebot bislang gar nicht zurückgeht. Diese Hausse basiert also alleine auf der reinen Möglichkeit, dass das momentan deutlich angezogene Kursniveau bald von Tatsachen gerechtfertigt sein könnte. Muss eine solche Spekulation denn nicht zwangsläufig schiefgehen? Nein, das muss sie aus zwei Gründen nicht:

Erstens kann diese Eskalation ja tatsächlich auftreten. Dass man dann wohl relativ bald die tatsächlichen Auswirkungen auf Förderung und Transportwege abschätzen könnte und das wiederum dazu führt, dass diejenigen, die auf das Eintreten eines solchen Szenarios spekuliert haben, ihren Gewinn kassieren und die Ölpreise daraufhin wieder fallen, ist eine Sache. Da aber zweitens gerade bei Rohstoffen sehr viel reines Trading auf den Preis einwirkt und die Rohstoff-Trader dafür bekannt sind, Trends bis zum Exzess auszureizen (der langfristige Chart auf Wochenbasis zeigt das ja deutlich), ist da nach oben bislang nichts unmöglich … solange die Trends halten. Aber da liegt eben auch die Achillesferse dieser Rohöl-Hausse:
Pulverfass Naher Osten - Wie entwickelt sich der Ölpreis: Entwicklung des Ölpreises von Brent Crude Oil von April 2014 bis April 2018 | LYNX Broker

Die Achillesferse der Rohöl-Bullen ist nicht Syrien

In unseren Charts haben wir auf Tages- ebenso wie auf Wochenbasis Brent Crude Oil abgebildet. Das ist neben Light Sweet Crude die weltweit wichtigste und meistgehandelte Ölsorte. Die Kurse der einzelnen Ölsorten liegen nicht ganz auf demselben Niveau, aber die Trends an sich laufen parallel … denn auch, wenn die Ölsorte Brent eigentlich vor allem in der Nordsee gefördert wird: Bei solchen Trends geht es um die globale Ölversorgung an sich, um ein mögliches Ungleichgewicht in der weltweiten Relation von Angebot und Nachfrage. Wird eine Ölsorte knapper, steigt damit die Nachfrage nach den anderen Ölsorten, denn zur Weiterverarbeitung sind fast die Ölsorten universell austauschbar. Aber zurück zur aktuellen Problematik:

Wir haben erkannt: Eigentlich ist dieser Anstieg der Ölpreise reine Spekulation auf eine Eskalation der Lage in Syrien in Richtung eines Flächenbrands im Nahen Osten, die keineswegs eintreten muss. Das ist auch dem bullischen Lager klar – und das bedeutet: Man ist sich des dünnen Eises, auf dem man sich da bewegt, sehr wohl bewusst und würde es umso schneller in Richtung des rettenden Ufers der Neutralität verlassen, je höher der Kurs gelaufen ist bzw. je höher der bereits erzielte Gewinn ist. Also gilt es, wenn man hier aktiv agieren wollte, vor allem auf die kurzfristigen Trends zu achten. Der langfristige Chart oben zeigt, dass sich der Kurs gerade aus einem längerfristigen, Anfang 2016 etablierten Trendkanal nach oben abgesetzt hat. Diese bullische Intensivierung des Trends stößt jetzt aber im Bereich 75/80 US-Dollar auf eine Widerstandszone. Kann die überwunden werden?

Das kann sie, wobei die Chance natürlich größer würde, falls die Entwicklung in und um Syrien sich weiter zuspitzt. Aber da man das nicht vorhersagen kann, wäre es angebracht, diesen möglichen Ausbruch über 80 US-Dollar nur als Möglichkeit im Hinterkopf zu haben, sich als Trader aber am kurzfristigen Bild zu orientieren.

Achten Sie weniger auf die Nachrichten als auf den Trend!

Im unten folgenden Chart auf Tagesbasis sehen wir, dass sich im Juni 2017 ein mittelfristiger Aufwärtstrend etabliert hat, dessen Relevanz durch mehrere Tests im Februar und März 2018 bestätigt wurde. Dieser Trend hat den Kurs von Rohöl Brent im Verlauf des Aprils über den Widerstandsbereich um 70,40 US-Dollar pro Barrel gehoben. Damit sind diese beiden Linien, die jetzt als Unterstützung fungierende Linie bei 70,40 US-Dollar und die per 23.4. bei 66,70 US-Dollar verlaufende Aufwärtstrendlinie, die entscheidenden Leitstrahlen der Öl-Hausse. Diese Linien sind für die das Geschehen momentan dominierenden Trader wichtiger als die immer subjektiv gewerteten Veränderungen der geopolitischen Rahmenbedingungen … davon abgesehen, dass es natürlich nicht nur Syrien ist, das den Kurs beeinflusst:

Pulverfass Naher Osten - Wie entwickelt sich der Ölpreis: Entwicklung des Ölpreises von Brent Crude Oil von April 2017 bis April 2018 | LYNX Broker

Auch die Entwicklung der Fördermengen weltweit, die US-Öllagerbestände oder politische Entscheidungen der großen Förderländer und/oder der OPEC spielen natürlich unverändert in die Preisbildung mit hinein. Und gerade deshalb ist es nötig, sich an den charttechnischen Fakten zu orientieren und subjektive Erwartungen in den Hintergrund zu stellen. Was hieße:

Sollte es zum Bruch dieser derzeit bei 66,70 US-Dollar verlaufenden Trendlinie kommen, kann diese Öl-Hausse selbst dann vorbei sein, wenn sich die Lage in Syrien als dem „Aufhänger“ des Kursanstiegs nicht verändert. Denn nach diesem dramatischen Anstieg des Ölpreises in den vergangenen zehn Monaten wissen die Bullen eben um das dünne Eis, auf dem sie stehen und werden schnell und unabhängig von der Nachrichtenlage reagieren, sollte dieser Leitstrahl der Hausse gebrochen werden.

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