In Bilanzen findet man meist „um Sondereinflüsse“ bereinigte Ertragsdaten. Das wird gemacht, damit einmalige Kosten den guten Eindruck der Gewinne nicht belasten. Aber diese Kosten sind ja trotzdem da. Würde man das beim DAX tun, also Sonderfaktoren, die ihn zuletzt stark beeinflusst haben, herausrechnen … zu welchem Ergebnis käme man da? Wäre der deutsche Leitindex dann immer noch auf dem Weg zur 25.000 Punkte-Marke?
Die Fragestellung lautet: Wie kam der DAX dorthin, wohin er jetzt gestiegen ist? Spielen dabei Sonderfaktoren eine Rolle, die sich verflüchtigen oder auch nur abschwächen könnten, so dass er ohne diese Besonderheiten nicht imstande wäre, alleine zu stehen, sprich den Rekordlevel zu halten oder auszubauen?
Grundsätzlich könnte man behaupten, dass der letzte Kurs immer der vom Markt „gerechtfertigte“ ist, weil der Markt ihn auch gehandelt hat. Es sind also nie Phantasiekurse, um die es beim deutschen Leitindex geht. Aber das ist nicht der Punkt. Die Frage ist, ob den Akteuren bestimmte, den Index derzeit vor allem höher ziehende Aspekte bewusst sind. Denn wenn das der Fall ist, kann das zum Problem werden, wenn sich diese „Sondereinflüsse“ relativieren. Gehen wir einmal die aus meiner Sicht auffälligsten durch.
Der DAX ist kein Index wie die anderen. Und die internationalen Investoren wissen das.
Zunächst einmal wäre da die Tatsache, dass der DAX, wie ihn die Anleger kennen, anders berechnet wird als nahezu alle anderen großen Indizes weltweit. Während z.B. Euro Stoxx 50, Dow Jones, Nasdaq 100 oder S&P 500 Kursindizes sind, was heißt, dass alleine die reinen Kursveränderungen der in ihnen gelisteten Aktien den Index-Kurs ergeben, ist das beim DAX anders, ebenso wie bei MDAX, TecDAX oder SDAX. Diese deutschen Indizes sind sogenannte Performanceindizes, bei denen die von im Index enthaltenen Unternehmen ausgeschütteten Dividenden wie Kursgewinne gerechnet und dann auch noch gleich fiktiv reinvestiert werden, was einen Zinseszins-Effekt bewirkt. Bei anderen Indizes zählt nur der Kurs.

Der vorstehende Chart zeigt zum einen diesen üblichen DAX als Performanceindex, zum anderen den DAX KI, also den Kursindex, bei dem, wie bei internationalen Indizes, nur die Kursveränderungen zählen. Sie sehen:
Der DAX KI ist noch gar nicht nach oben ausgebrochen, sondern schloss am Freitag an und nicht über dem vorherigen Rekordhoch vom März. Sie sehen auch, dass der DAX KI unter 9.000 Punkten steht, während der durch die Dividenden-Einrechnung positiv verzerrte DAX Performanceindex an der 24.000er-Marke kratzt. Damit wird ziemlich klar, wie extrem dieser „Sondereinfluss“ ist, denn Anfang 1988 starteten beide Index-Berechnungsformen mit 1.000 Punkten! Der Punkt dabei ist:
Große, internationale Investoren sehen sich den DAX natürlich in der KI-Variante an, um ihn mit anderen Indizes vernünftig vergleichen zu können. Und sehen damit eben keinen Ausbruch über das alte Hoch. Dieser Ausbruch wurde durch die vielen in den letzten Wochen ausgeschütteten Dividenden begünstigt, ist aber damit ein bullisches Signal, das vor allem deutsche Anleger sehen, der Rest aber nicht. Das internationale Kapital, das richtigerweise den DAX KI als Vergleich heranzieht, sieht weiterhin einen Index, der nicht ansatzweise an die über Jahrzehnte stärkeren US-Indizes heranreicht.

Ein DAX ohne den Sondereinfluss der Terminbörse … jetzt wäre das der Fall
Ein weiterer Aspekt ist die am Freitag absolvierte Abrechnung der Index- und Aktienoptionen an der Terminbörse. Intensive Trends werden Richtung Abrechnungstag oft durch die Aktivitäten der großen Player am Terminmarkt intensiviert. Aber ist diese Abrechnung erst über die Bühne, fällt auch dieser „Sondereinfluss“ weg, das Zugpferd ist dann ausgeschirrt. Das muss die Trendrichtung nicht ins Gegenteil verkehren, aber ohne diese Sogwirkung des Terminmarkts braucht es dann andere Argumente, um den Trend fortzusetzen, in unserem Fall die Aufwärtsbewegung.

Sondereinfluss US-Zölle: Aktuell wirkt die erhoffte Einigung kurstreibend
Nächster Faktor: die USA-Problematik. Ein Gutteil der Verluste, die bei zyklischen und/oder stark exportorientierten DAX-Titeln durch Trumps „Zoll-Hammer“ am 2.4. entstanden waren, wurden aufgeholt, in einigen Fällen sogar mehr als das. Doch Ende der Woche wird die Hälfte von Trumps 90-Tage-Galgenfrist vorbei sein, ohne dass die Verhandlungen mit der EU überhaupt begonnen hätten. Zudem zeigt der „Deal“ mit den Briten, dass man höhere Zölle wohl nur wird abbiegen können, wenn man den USA markante Vorteile im Handel zubilligt. Es ist also dünnes Eis, auf dem diejenigen stehen, die da bereits im Vertrauen auf eine Einigung hin zugreifen.

Wenige Zugpferde … und die haben den Grund ihrer Rallye schon eingepreist
Und nicht zuletzt steht der DAX nur, wo er jetzt steht, weil die neue Bundesregierung massiv Schulden machen will, um Infrastruktur und Verteidigung zu stärken. Dadurch sind die Bank- und Finanzwerte gestiegen, weil man damit rechnet, dass die von höheren Anleiherenditen und einer verstärkten Emissionstätigkeit bei den Festverzinslichen profitieren. Und es sind Heidelberg Materials bzgl. Infrastruktur und Rheinmetall bzgl. Verteidigung, die zuletzt haussierten. Dass sich das umkehrt, ist zwar unwahrscheinlich. Aber all diese Aktien sind jetzt ziemlich teuer bewertet, weil sie steigende Unternehmensgewinne auf Jahre hinaus bereits vorab eingepreist haben. Dieser „Sondereinfluss“ hat seine Wirkung also bereits entfaltet. Viel Luft nach oben ist durch die Vorwegnahme kommender Effekte also eher nicht mehr, denn wer da kaufen wollte, wird das großenteils längst getan haben.

Fazit: Man sollte auf einen denkbaren „Fall eines Falles“ vorbereitet sein.
Gäbe es diese „Sondereinflüsse“ nicht, würde der DAX niedriger notieren, womöglich deutlich. Der DAX wirkt als Performanceindex durch den „Sondereinfluss“ der Dividenden sehr viel bullischer, als er es ohne wäre. Und vielen großen Adressen ist das völlig bewusst.
Er steht so hoch, weil die Terminbörse ihn in den letzten zwei Wochen vermutlich zusätzlich gezogen hat. Ob sie das ab heute auch noch tut, ist zumindest offen.
Er steht so hoch, weil viele unterstellen, dass es mit den USA in Sachen Handel zu einer Einigung kommt, die die EU-Exporteure nicht nennenswert beeinträchtigt, was eine eher gewagte These ist.
Und er notiert auf Rekordlevels, weil man Wachstum vorweggenommen hat, das zwar vermutlich auch kommen wird, aber es ist eben jetzt schon in den Kursen vieler DAX-Aktien drin.
Das ist alles nichts, das nach einem felsenfesten Fundament für die Fortsetzung einer Hausse aussieht. Das bedeutet zwar nicht, dass der Index ohne Stützräder sofort umfallen muss. Aber es ist möglich, dass das eher über kurz als über lang passiert, daher: Konsequente Stoppkurse für Long-Positionen wären für den „Fall eines Falles“ auf jeden Fall eine Überlegung wert!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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